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Dienstag, 30. September 2014

Tagebuch auf Lampedusa[InFestival]: Aufruf für ein „Alternatives Alarmnetzwerk“

Heute um 16.30 Uhr stellt Judith Gleitze von borderline-europe, Menschenrechte ohneGrenzen e.V. in der Area Marina Protetta, im Zuge des Filmfestivals „LampedusaInFestival“, das „Alternative Alarmnetzwerk“ vor. In Zukunft soll damit Migrant_innen in Seenot, mithilfe der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteur_innen, in Echt-Zeit geholfen werden. 



11. Oktober 2013: Geflüchtete auf einem sinkenden Schiff versuchen via Satellitentelefon wieder und wieder einen Notruf an die italienische Küstenwache abzusetzen, aber ihr Hilfeersuchen wird nicht ernst genommen. Auf dem Boot in Not, dass in der Nacht zuvor von einem libyschen Schiff beschossen wurde, befanden sich mehr als 400 Menschen. Obwohl rechtzeitig zuerst die italienische, und später die maltesische Küstenwache, über die bevorstehende Notlage der Menschen alarmiert wurde, kamen die Rettungsmaßnahmen einige Stunden zu spät und die Rettungsboote kamen erst eine Stunde nachdem das Flüchtlingsboot bereits gesunken war. Mehr als 200 Menschen mussten sterben, nur 212 Menschen konnten gerettet werden.

Was wäre passiert, wenn die Geflüchteten, zusätzlich zu dem Notruf an die Küstenwache(n), einen zweiten Notruf an eine unabhängige Not-Hotline hätten absenden können, an ein ziviles Netzwerk, das direkt hätte Druck auf die Behörden ausüben können? 

Ein Jahr nach dem 3. Oktober und dem oben beschriebenen „left-to-die-case“, ist die Situation nicht weniger dramatisch. Auch wenn die italienische Militäroperation „Mare Nostrum“ in den letzten elf Monaten offiziell bereits mehr als 100.000 Migrant_innen gerettet hat sind, nur auf dem Mittelmeer und im gleichen Zeitraum, trotzdem mehr als 1300 Menschen gestorben und wurden so Opfer des europäischen Grenzregimes. Zu Beginn des Jahres 2014 wurden wir Zeugen von weiteren Toten an den exterritorialisierten EU-Grenzen: Am 20. Januar starben 12 Flüchtende, als ihr Boot unterging, während sie von einem Hochgeschwindigkeitsboot der griechischen Küstenwache gezogen wurden, um so an die türkische Küste zurückgebracht/absgeschoben zu werden.

Am 6. Februar 2014 beschossen spanische Grenzwächter_innen schwimmende Migrant_innen mit Plastikpatronen, die versuchten die spanische Enklave Ceuta zu erreichen. Mehr als 14 Menschen mussten in Folge dessen sterben.

Das sind keine Einzelfälle aber einige der offensichtlichsten unter vielen ähnlichen tödlichen Gewaltaktionen gegen Migrant_innen im Mittelmeer. Wären diese Vorfälle passiert, wenn die Zivilgesellschaft informiert gewesen wäre und Druck auf die Behörden und Autoritäten ausgeübt hätte, bevor es dazu kommen konnte und nicht erst danach, als es schon zu spät war?

Wir können nicht länger ertragen hilflos zuzusehen, während sich Tragödien wie diese wieder und wieder zutragen. Wir möchten mehr tun, als diese Gewalttaten zu verurteilen, nachdem sie sich zugetragen haben. Wir glauben, dass ein Alternatives Alarmnetzwerk (AAN), etabliert durch die Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Mittelmeeres (sowohl auf nordafrikanischer als auch europäischer Seite), etwas verändern könnte.

Weder verfügen wir über kein Rettungsteam, noch können wir direkten Schutz anbieten. Wir sind uns über unsere begrenzten Mittel bewusst und über den provisorischen und begrenzten Charakter unserer Initiative. Aber wir möchten sofort Alarm schlagen, wenn Geflüchtete und Migrant_innen in Notsituationen auf dem (Mittel-)Meer geraten und nicht sofort gerettet werden. Wir möchten in Echt-Zeit dokumentieren und unmittelbar einschreiten, wenn Menschen Opfer von „Push-Back-Operationen“ werden oder abgeschoben werden in Länder wie Libyen, wo Migrant_innen alsbald Opfer von Gewalt und Folter werden. Wir wollen uns einmischen und politischen Druck ausüben, die Gesellschaft mobilisieren gegen das tägliche Unrecht an den EU-Außengrenzen.

Wir wissen, dass dieser Druck effektiv sein kann, da es bereits viele individuelle Akteure gibt, die seit Jahren alarmiert werden, in Fällen, wenn Familienangehörige wissen, dass sich Verwandte oder Bekannte auf dem Weg nach Europa befinden oder die Migrant_innen auf Hoher See direkt einen Notruf an diese bekannten Einzelpersonen absenden. Es hat sich als effektiv erwiesen, wenn diese Einzelpersonen in diesen Fällen Druck auf die Behörden ausüben, da sie darüber kontrollieren konnten, ob Rettungsmaßnahmen ergriffen wurden.

Wir möchten das „Alternative Alarmnetzwerk“ ausweiten und seine politische Rolle stärken, um Migrant_innen zu unterstützen und das Recht auf Bewegungsfreiheit zu bekräftigen.

Deswegen versuchen wir – in enger Zusammenarbeit mit dem Monitoringprojekt „Watch The Med“ – ein alternatives Alarmtelefon zu etablieren, das ab dem 10. Oktober 2014 tagtäglich, 24/7 erreichbar ist. Organisiert wird das Netzwerk von Menschenrechtsaktivist_innen auf beiden Seiten des Mittelmeeres (Nordafrika und Europa), von mehrsprachigen Teams.

Wir werden allen Menschen in Seenot zuerst raten die offiziellen Rettungsstellen zu alarmieren, wie z.B. die Küstenwachen der EU-Länder mit Außengrenzen. Aber wir werden auch persönlich die jeweils verantwortliche Küstenwache informieren, sie auf ihre Verantwortung aufmerksam machen und sie wissen lassen, dass wir informiert sind und ihr weiteres Vorgehen beobachten können. Wenn sie nicht reagieren werden wir alles in Bewegung setzen, um politischen und öffentlichen Druck auf sie auszuüben.

Wir werden Kapitäne von Frachtschiffen informieren, die sich in der Nähe der sich in Not befindenden Menschen aufhalten. Wir werden Journalist_innen alarmieren, Menschen aus Politik und Kirche und gesellschaftlich bekannte Persönlichkeiten, die uns unterstützen.

Wir werden die „Kritische-Netzwerk-Community“ informieren und nutzen, um Echt-Zeit-Kampagnen zu starten und jeden dazu aufrufen zu intervenieren.

Die „left-to-die“ Vorfälle, die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Grenzen durch FRONTEX und die Küstenwachen im Mittelmeer müssen sofort gestoppt werden. Wir brauchen ein zivilgesellschaftliches Netzwerk, und wir wollen Teil dieses Netzwerkes sein, das auf beiden Seiten des Mittelmeeres politischen Druck ausüben kann – für das Leben und die Rechte von Geflüchteten.

Ein solches Netzwerk wäre ein erster und notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Mittelmeerraum der nicht von einem tödlichen Grenzregime gezeichnet ist, sondern von SOLIDARITÄT, dem RECHT AUF SCHUTZ und dem RECHT AUF BEWEGUNGSFREIHEIT!!!


Mehr Informationen und wie du Teil des Netzwerkes werden kannst erfährst du unter:



Kontakt:


Eine Initiative von:
Welcome to Europe, Afrique Europa Interact, borderline-europe, Noborders Morocco, Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Voix des Migrantes



Text//Übersetzung: Alexa Magsaam, borderline-europe