M. kommt aus Gambia. Er ist vergangenen Oktober in Italien angekommen. Nachdem er ein paar Wochen in einer Erstaufnahmeeinrichtung in der Gegend von Agrigent verbracht hat, ist er in die Einrichtung SPRAR* von Palagonia, gelegen in der Provinz von Catania, verlegt worden, wo er immer noch lebt. Er kommt mir auf der Via Vincenzo Bellini entgegen und lächelt. Er hat Lust, seinen ganzen Frust über ein Warten, von dem er glaubt, dass es kein Ende haben wird, abzulassen.
Palagonia ist eine Kleinstadt mit ca. 16.000 Einwohnern, die sich versteckt zwischen Reihen von Apfelsinenbäumen befindet. Während wir es uns im Schatten eines tristen kleinen Park bequem machen, macht mich der junge Mann darauf aufmerksam, dass die ländliche Umgebung nicht viele Freizeitangebote bietet. “Ich bin seit elf Monaten in der Einrichtung. Viele Jugendliche, die mit in Italien angekommen sind, haben die Anerkennung erhalten und sind frei. Man sagt uns, die Antwort der Kommission abzuwarten. Im 3-Monatszyklus leben wir mit einer Hoffnung, die regelmäßig nicht erfüllt wird”. Er erzählt mir, dass der Rechtsanwalt die Einrichtung am Tag vor unserem Treffen besucht habe. Es würde aber auch Monate vergehen, ohne dass er die Einrichtung besuche. “Die Tage sind unendlich lang. Ab und zu kommt ein Lehrer und erteilt uns Italienischunterricht. Wir möchten aber einen Beruf erlernen und nicht beschimpft werden, jedes Mal wenn wir die Straße überqueren,” fährt er fort. Er berichtet, dass zwei seiner Landleute Opfer von Gewalt seitens einiger Dorfbewohner gewesen seien. “Ein Junge ist von einem Metallstock getroffen worden. Wir haben Anzeige bei der Polizei erstattet, aber wir haben nichts erreicht. Deshalb bevorzugen wir abends, auch wenn wir Lust haben auszugehen und unter Menschen zu sein, in der Nähe zu bleiben”. Neben den Verspätungen durch die Kommission gebe es auch einige Jugendliche in der Einrichtung, die Gesundheitsprobleme haben, denen man nicht - laut M. - mit der gebotenen Ernsthaftigkeit begegne. “Sobald wir Schmerzen haben, gibt man uns ein Beutelchen Oki (Schmerzmittel). Aber einer meiner Freunde ist für länger als einen Monat ins Krankenhaus von Messina wegen einer schwerwiegenden Tuberkulose eingeliefert worden. Jetzt läuft er nur mit Mühe. Ein anderer Junge ist in Ohnmacht gefallen, nachdem er tagelang starke Schmerzen im Brustkorb beklagt und viel Gewicht verloren hatte. Im Krankenhaus hat man ihm eine Lungenentzündung diagnostiziert”. Hinzu komme, so der junge Mann aus Gambia, die Schwierigkeit mit der Verdauung aufgrund der minderwertigen Qualität des Essens, das von einer Kantine aus Scordia stamme. “Das Huhn ist oft roh. Eine Zeit lang konnten wir einen kleinen Vorrat halten und unser Essen selbst kochen. Das war eine gute Lösung. Aber zur Kostenkontrolle haben sie wieder die Kantine eingeführt.” Ich habe die Gelegenheit mit den Mitarbeitern der Einrichtung “San Francesco”, die Teil der Genossenschaft “Il Sol.co” ist, zu sprechen. Diese selbst bestätigen, was der junge Mann mir erzählt hat: “Das gemeinsame Kochen stellte für die Jugendlichen ein Moment der Gemeinsamkeit und Ablenkung dar. Wir waren nicht damit einverstanden, dies abzustellen, aber leider werden die Entscheidungen von oben getroffen. Wir versuchen, ihnen dies jeden Tag zu erklären.” Wir verlassen die Schaukel und gehen in Richtung Einrichtung. Dort habe ich Gelegenheit, mit zwölf von sechzehn Jugendlichen zu sprechen, die derzeit in der Einrichtung untergebracht sind. Neben mehreren Jugendlichen aus Gambia sind ein Jugendlicher aus Nigeria, einer aus Senegal, einer aus Burkina Faso und zwei aus Eritrea anwesend. Sie bestätigen, was M. bereits erzählt hat. Ein Jugendlicher zeigt mir eine Bandage am Rücken. “Ich bin im Krankenhaus gewesen. Ich verstehe aber nicht, was ich habe. Der Rücken tut mir jeden Tag weh, und wenn die Wirkung des Schmerzmittels zurückgeht, ist der Schmerz unerträglich”. G. bewegt sich nach einem Krankenhausaufenthalt nur mit großer Mühe. Sie berichten, dass am Tag zuvor ein Arzt bei allen Gästen sowie der Mitarbeiter ein Tuberkulosetest durchgeführt habe und man morgen die Ergebnisse erhalte. Die Taschengeldfrage von 46,50 Euro monatlich (1,50 Euro am Tag je Migrant festgesetzt durch die italienische Regierung), sowie das hinzu kommende Telefonaufladen von 5 Euro alle 2 Wochen bringt die Diskussion in Gang. Ein Jugendlicher aus Gambia berichtet, dass dieses Geld für das Essen als Ersatz Kantinenessen verwendet werde, sowie vor allem, um sich nach Catania zu begeben, um Neuigkeiten von der Kommission über den Sachstand des Asylantrags zu erfragen, wobei man mehr als einmal mit leeren Händen zurückkomme. Man bedenke, dass es sich beim internationalen Schutz um ein Stück Papier handelt, das mit einem Stempel versehen werde. Währenddessen werden tausende Personen Monate lang wartend und frustriert in der Schwebe gelassen und auf der Straße grundlos beschimpft, ohne verteidigt zu werden. Dabei geht das diesbezügliche Bestreben nach einer Aufnahme, die es würdig ist, so genannt zu werden, verlustig. M. und die Seinesgleichen sind frei in einem Gefängnis der Gleichgültigkeit.
Beatrice Gornati
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti
*SPRAR: SISTEMA DI PROTEZIONE DI RICHIEDENTI ASILO E PROFUGHI-SCHUTZSYSTEM FÜR ASYLBEWERBER UND FLÜCHTLINGE, ZWEITAUFNAHME IN ITALIEN