siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Dienstag, 25. Februar 2014

Doppelexemplar… Ja, dieser fehlt mir

Wieviel Zeit haben wir in der Schule mit den Kameraden verbracht, um Bildchen der Fußballer zu tauschen? Für viele 40jährige war es das faszinierendste Spiel, das man in der Pause machen konnte, und ich denke, dass genau jene 40jährigen dieses Verfahren auch in den Umgang mit den Einrichtungen zur Aufnahme und den Migranten exportiert haben.
Wir kehren von einer zweitägigen Monitoring-Fahrt in der Provinz Trapani zurück und können sagen, dass die Dinge immer auf dieselbe Art geschehen… Wir waren in Alcamo, Marsala, Selinunte und Castellamare del Golfo.
Vor allem hat uns eine Sache (die aber absolut legal ist), nicht überzeugt: die Einrichtungen, die sich heute in der Verantwortung eines Betreibers befinden, haben sich gestern noch in der Verantwortung eines anderen Betreibers befunden. Derselbe, der sich in einer anderen Stadt wiederfindet und dort noch die Einrichtung einer anderen Gesellschaft übernimmt. Machen wir es am Beispiel Castellamare etwas deutlicher: die Einrichtung (Urlaub auf dem Bauernhof auf Sizilien), die 2011 von der Kooperative Insieme verwaltet wurde, ist heute in den Händen des Konsortiums Solidalia. Aber es bleiben immer dieselben Beschäftigten und dieselbe Leitung; in Alcamo dagegen gibt es heute ein SPRAR (als Noteinrichtung im August eröffnet) in dem alten Hotel Miramare, verwaltet vom Konsortium Solidalia, das Ende Februar die Türen schließen wird, um für das SPRAR, „verwaltet“ von coop. Badia Grande in Partnerschaft mit dem Roten Kreuz, Platz zu machen, in das wahrscheinlich die aktuellen „Gäste“ des Hotels überführt werden. Und Solidalia verliert ein SPRAR? Ja, in Alcamo, aber sie wird das SPRAR von Marsala leiten!

Offensichtlich gibt es Ausschreibungen und Projekte, die die Kooperativen, Konsortien etc. präsentieren und wahrscheinlich geht es in einem Jahr in der einen Stadt und in einem Jahr in einer anderen gut, aber das naheliegende Ergebnis ist, dass Migranten wie Bildchen der Fußballspieler sind, sie werden getauscht, abgelehnt oder sind umkämpft, „wenn sie besonders gut sind“!

In diesem fortgesetzten Austausch ist in jedem Fall die Würde der Migranten der Verlierer. Sie erleiden  die Widersprüchlichkeit dieses Systems, das immer mehr am Geld interessiert ist und den Bedürfnissen der "Gäste" wenig Aufmerksamkeit entgegenbringt. Leider passiert das im größeren Teil der Fälle.

Die Worte der Migranten, die wir hier und da auf Sizilien getroffen haben, sind einmütig;sie brauchen nicht nur ein Bett und Essen (mehr oder weniger gut), sondern bedürfen auch des Respektes gegenüber ihren eigenen Rechte; brauchen eine Aufenthaltserlaubnis in zumutbaren Zeiträumen, brauchen eine Anerkennung nicht nur im juristischen Sinn, sondern auch menschlich; haben das Bedürfnis, als Menschen angesehen zu werden und nicht als Bildchen.

Und so, wenn das Maß voll ist, wenn man 7 Monate im „Urlaub auf dem Bauernhof“ lebt, ohne ein Stück Papier in der Hand zu haben, dann verliert man die Geduld und man protestiert wirklich, wie es gerade in Castellamare del Golfo geschehen ist. Die federführenden Behörden sind nicht in der Lage, angemessene Antworten zu geben, und um die Wogen zu glätten machen sie oft und bereitwillig Versprechen, die sie nicht in der Lage sind einzuhalten und verkomplizieren damit die Situation beträchtlich.
Eine andere, gern angewandte Lösung (insbesondere, wenn Betreiber mehrere Lager auf demselben Gebiet haben) ist die Verlegung der Person, die man für den Verantwortlichen des Protestes hält. Das ist ein klares Zeichen für den Betreffenden, aber auch für alle anderen: Proteste sind nicht erwünscht.

Um der Richtigkeit des Informationen willen: Die Eritreer, die in Castellamare protestierten, haben alle die Verlegung beantragt, da sie nicht zufrieden waren und sich auch über die Mitarbeiter beschwert haben.

Diese letzten Klagen sind nicht neu; tatsächlich ist, wie schon in anderen Berichten geschrieben, der Mangel an Professionalität in vielen Lagern offensichtlich. Hier gibt es behelfsmäßige Mediatoren, wie die Besitzer der Urlaubsbauernhöfe oder der Hotels, die von einem auf den anderen Tag zu Mediatoren werden.
Ergebnis ist, dass die Migranten oft aus Protest nicht essen, außerhalb des Zimmers schlafen und sich nicht um ihre eigene Gesundheit kümmern. In in einigen Lagern gibt es unbestritten Fälle von Krätze, unbehandelt, weil sie auch die Gesundheitsbehandlung ablehnen.

Darüber hinaus schaffen der Mangel an Professionalität oder auch das Fehlen von Mitarbeitern (in einigen Lagern macht eine Person alles, vom Mediator bis zum Verantwortlichen) etliche Probleme, wie zum Beispiel in diesen Tagen in der Einrichtung der Ipab, Johannes XXIII., in der es in einem Flügel des Altersheims Migranten gibt, die zahlreiche Unannehmlichkeiten beklagen. Auch die Beschäftigten des Betreibers haben Probleme auf ihrem "Konto", da sie ihre Vergütung nicht zeitnah erhalten.

Und angesichts der Tatsache, dass wir in einem zivilen Land leben, geht die Neigung dahin, Lager außerhalb bewohnter Zonen zu eröffnen, damit sie niemand sieht; oft ist es sogar für uns schwierig, einen „Urlaubsbauernhof“ oder eine Ferienanlage zu erreichen. Ja, genau so, auch die Ferienanlagen, das ist keine Irrtum. Tatsächlich gibt es auch in Castellamare Eigentümer einer Ferienanlage, die daran interessiert sind, in das Immigrationsgeschäft einzusteigen, um ihre Konten auszugleichen: sie stellen (Teile) ihre Einrichtung für die Winterperiode zur Verfügung, im Sommer kommen dann die Kunden mit Geld!

Das Spiel mit den Bildchen geht auch heute weiter, aber auf andere Art und Weise und leider mit einem anderen Ziel; in der Tat spielen nicht mehr die Kinder, sondern die Erwachsenen, und man weiß, wenn die Großen „wie die Kinder“ spielen, verlieren sie Freude und Unschuld und richten große „Schäden“ an!

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber