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Mittwoch, 22. Juni 2016

Das Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Mineo: neue Ermittlungen und eine wachsende Anzahl an Bewohner*innen

Die Untersuchungen im Aufnahmezentrum für Asylsuchende von Mineo gehen weiter. Sie sind Teil der umfassenden Untersuchung „Mafia Capitale“. Diese fordert aufgrund von Falschbeurkundungen und schweren Betrugs, der sich auch in gefälschten Zahlen der Geflüchteten im Zentrum widerspiegelt, neue Ermittlungsbescheide und eine unabhängige Untersuchung. Die Zahl der Ankommenden nahm in den letzten Wochen indes weiter zu. Im Hafen von Catania und Augusta, Pozzallo, Trapani und Reggio Calabria werden die Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft neu verteilt. Die Einrichtung in Mineo hat bis zum heutigen Tag ca. 3500 Menschen aufgenommen. Hier werden alle Verfahrensweisen zur Identifizierung und Weiterverteilung durchgeführt, die für gewöhnlich in einem Hotspot stattfinden. Aufgrund der massenhaften Weiterverteilung von eritreischen Bürgern, die ins Zentrum kamen scheint es, dass das Zentrum in Mineo zugleich ein Verteilzentrum für die Asylsuchenden ist. Es ist ein Ort, an dem nun ermittelt wird, dem aber zugleich neue und vielfältige Aufgaben übertragen werden. Diese werden nicht nur ohne einen klaren gerichtlichen Beschluss ausgeführt, sondern vor allem ohne ihre eigentliche Pflicht zu erfüllen: die Rechte der Migrant*innen zu schützen. Es ist ein Ghetto inmitten von nichts, um das sich von Woche zu Woche mehr Militär und Polizei scharen. 

Wir treffen viele Geflüchtete, die in Mineo leben oder jeden Tag dorthin fahren, um Sizilien zu verlassen und in andere italienische Städte zu fahren. Sie kommen vom Bahnhof in Catania oder aus dem Aufnahmezentrum – ein offener Käfig, in dem sich der Kontakt zu anderen Menschen, die nicht Teil des Personals im Zentrum sind, auf illegale Taxifahrer und Drogendealer beschränkt, die bereit sind die Verzweiflung der Geflüchteten auf skrupellose Weise zunutze zu machen. Die meisten von ihnen verstehen nicht, warum sie so lange warten müssen. Sie finden keine logische Erklärung für ihren Status quo: „Ich bin seit fast einem Monat in Mineo. Ich bin von einem anderen Hafen nachts mit dem Bus hergebracht worden. Ich erinnere mich nur noch, dass ich unmittelbar nach meiner Ankunft registriert und fotografiert wurde, bevor sie mir erklärten, dass ich an einen anderen Ort umziehen müsse.“ Das erzählt uns T. Er ist Eritreer und weiß, außer dass er sich in einem relocation-Programm befindet, so gut wie gar nichts über seine Situation. So geht es vielen Migrant*innen, die wir hier treffen. Sie glauben, dass sie bei dem relocation-Programm mitmachen müssen, ohne überhaupt die Möglichkeit zu haben, in Italien bleiben zu können. Sie sagen uns sie hätten das C3-Modell auf italienisch und nicht auf englisch ausgefüllt, so wie es sich eben gehöre.

Sie erhalten nur spärliche Informationen, auch was die Möglichkeit einer Familienzusammenführung betrifft: „Keiner hier sagt uns, ob wir unsere Familien wiedersehen können. Auch deshalb wollen viele von uns in andere europäische Länder.“ Zu viele Menschen, zu wenig Augenmerk auf Einzelfälle sowie die Herausgabe lückenhafter Informationen – das alles in einem Zentrum, dessen Priorität es lediglich ist die Geflüchteten zu identifizieren, aufzuteilen und Zahlen für Europa zu liefern. Es ist bleibt ein strategisches Spiel auf Kosten der Geflüchteten.  Die Zahl der Ankommenden wird festgehalten, um die entsprechenden Gelder zu erhalten und Fingerabdrücke werden abgenommen. Das ist die alltägliche Praxis, die mit Sorgfalt im Aufnahmezentrum durchgeführt wird. Verlässt ein Großteil der Neuankömmlinge das Zentrum, so geht es nur darum, sie so schnell wie möglich durch andere zu ersetzen. Weder im Hotspot noch in den neuen Verteilungszentren wird individueller Schutz für den Einzelnen garantiert. Dies ist ein weiteres Zeichen für eine anhaltende und vor allem alarmierende Realität, die sich seit Jahren in dem Aufnahmezentrum abspielt. Wer hier ankommt, bleibt im Schnitt 18 Monate und ist ohne jegliche Hilfe auf sich alleine gestellt. Nicht wenige tragen psychische Schäden davon.

„Ich bin vor einem Jahr hier angekommen. Nachdem ich meine Anhörung bei der Kommission hatte und eine Ablehnung erhalten habe, habe ich mich entschieden, es wie meine Freunde zu machen und nach Catania zu fahren, um einen Anwalt aufzusuchen. Nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, war mir klar, dass ich eigentlich nichts wusste. Ich kannte weder meine Rechte, noch meine Pflichten, noch wusste ich, dass ich mir sogar eine reguläre Arbeit hätte suchen können.“, erzählt uns G. aus Nigeria.
„Ich beneide die Eritreer ein bisschen. Sie können zumindest diesen Ort hier verlassen, auch wenn sie nicht dorthin gehen können, wo sie gerne hin würden.“ Die einen müssen bleiben, die anderen werden dorthin gebracht, wo sie nicht hin möchten, wieder andere können überhaupt nicht bleiben: Es sind hunderte von Männern und Frauen, die hier gezwungen werden, die ihnen vorgegebenen Wegen zu gehen. Fast immer stecken hinter diesen Wegen Interessen, jedoch sind es nie die ihren.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus


Aus dem Italienischen von Marlene Berninger