Die Untersuchungen im Aufnahmezentrum für
Asylsuchende von Mineo gehen weiter. Sie sind Teil der umfassenden Untersuchung
„Mafia Capitale“. Diese fordert aufgrund von Falschbeurkundungen und schweren Betrugs,
der sich auch in gefälschten Zahlen der Geflüchteten im Zentrum widerspiegelt, neue
Ermittlungsbescheide und eine unabhängige Untersuchung. Die Zahl der
Ankommenden nahm in den letzten Wochen indes weiter zu. Im Hafen von Catania
und Augusta, Pozzallo, Trapani und Reggio Calabria werden die Flüchtlinge unmittelbar
nach ihrer Ankunft neu verteilt. Die Einrichtung in Mineo hat bis zum
heutigen Tag ca. 3500 Menschen aufgenommen. Hier werden alle Verfahrensweisen
zur Identifizierung und Weiterverteilung durchgeführt, die für gewöhnlich in
einem Hotspot stattfinden. Aufgrund der massenhaften Weiterverteilung von
eritreischen Bürgern, die ins Zentrum kamen scheint es, dass das Zentrum in
Mineo zugleich ein Verteilzentrum für die Asylsuchenden ist. Es ist ein Ort, an
dem nun ermittelt wird, dem aber zugleich neue und vielfältige Aufgaben
übertragen werden. Diese werden nicht nur ohne einen klaren gerichtlichen
Beschluss ausgeführt, sondern vor allem ohne ihre eigentliche Pflicht zu
erfüllen: die Rechte der Migrant*innen zu schützen. Es ist ein Ghetto inmitten
von nichts, um das sich von Woche zu Woche mehr Militär und Polizei scharen.
Wir treffen viele Geflüchtete, die in Mineo
leben oder jeden Tag dorthin fahren, um Sizilien zu verlassen und in andere
italienische Städte zu fahren. Sie kommen vom Bahnhof in Catania oder aus dem
Aufnahmezentrum – ein offener Käfig, in dem sich der Kontakt zu anderen
Menschen, die nicht Teil des Personals im Zentrum sind, auf illegale Taxifahrer
und Drogendealer beschränkt, die bereit sind die Verzweiflung der Geflüchteten
auf skrupellose Weise zunutze zu machen. Die meisten von ihnen verstehen nicht,
warum sie so lange warten müssen. Sie finden keine logische Erklärung für ihren
Status quo: „Ich bin seit fast einem Monat in Mineo. Ich bin von einem anderen
Hafen nachts mit dem Bus hergebracht worden. Ich erinnere mich nur noch, dass
ich unmittelbar nach meiner Ankunft registriert und fotografiert wurde, bevor
sie mir erklärten, dass ich an einen anderen Ort umziehen müsse.“ Das erzählt
uns T. Er ist Eritreer und weiß, außer dass er sich in einem
relocation-Programm befindet, so gut wie gar nichts über seine Situation. So
geht es vielen Migrant*innen, die wir hier treffen. Sie glauben, dass sie bei
dem relocation-Programm mitmachen müssen, ohne überhaupt die Möglichkeit zu
haben, in Italien bleiben zu können. Sie sagen uns sie hätten das C3-Modell auf
italienisch und nicht auf englisch ausgefüllt, so wie es sich eben gehöre.
Sie erhalten nur spärliche Informationen, auch was die Möglichkeit einer
Familienzusammenführung betrifft: „Keiner hier sagt uns, ob wir unsere Familien
wiedersehen können. Auch deshalb wollen viele von uns in andere europäische
Länder.“ Zu viele Menschen, zu wenig Augenmerk auf Einzelfälle sowie die
Herausgabe lückenhafter Informationen – das alles in einem Zentrum, dessen
Priorität es lediglich ist die Geflüchteten zu identifizieren, aufzuteilen und
Zahlen für Europa zu liefern. Es ist bleibt ein strategisches Spiel auf Kosten
der Geflüchteten. Die Zahl der
Ankommenden wird festgehalten, um die entsprechenden Gelder zu erhalten und
Fingerabdrücke werden abgenommen. Das ist die alltägliche Praxis, die mit
Sorgfalt im Aufnahmezentrum durchgeführt wird. Verlässt ein Großteil der
Neuankömmlinge das Zentrum, so geht es nur darum, sie so schnell wie möglich
durch andere zu ersetzen. Weder im Hotspot noch in den neuen Verteilungszentren
wird individueller Schutz für den Einzelnen garantiert. Dies ist ein weiteres
Zeichen für eine anhaltende und vor allem alarmierende Realität, die sich seit
Jahren in dem Aufnahmezentrum abspielt. Wer hier ankommt, bleibt im Schnitt 18
Monate und ist ohne jegliche Hilfe auf sich alleine gestellt. Nicht wenige
tragen psychische Schäden davon.
„Ich bin vor einem Jahr hier angekommen. Nachdem ich meine Anhörung bei
der Kommission hatte und eine Ablehnung erhalten habe, habe ich mich
entschieden, es wie meine Freunde zu machen und nach Catania zu fahren, um einen
Anwalt aufzusuchen. Nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, war mir klar, dass
ich eigentlich nichts wusste. Ich kannte weder meine Rechte, noch meine
Pflichten, noch wusste ich, dass ich mir sogar eine reguläre Arbeit hätte
suchen können.“, erzählt uns G. aus Nigeria.
„Ich beneide die Eritreer ein bisschen. Sie können zumindest diesen Ort
hier verlassen, auch wenn sie nicht dorthin gehen können, wo sie gerne hin
würden.“ Die einen müssen bleiben, die anderen werden dorthin gebracht, wo sie
nicht hin möchten, wieder andere können überhaupt nicht bleiben: Es sind
hunderte von Männern und Frauen, die hier gezwungen werden, die ihnen
vorgegebenen Wegen zu gehen. Fast immer stecken hinter diesen Wegen Interessen,
jedoch sind es nie die ihren.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Marlene
Berninger