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Donnerstag, 19. November 2015

Besuch des hochspezialisierten Zentrums für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Ragusa

Am 13. April 2015 hat in Ragusa ein hochspezialisiertes Zentrum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geöffnet, das von der Genossenschaft „Zusammen für das Leben“ geführt wird. Wir besuchen die Struktur, die sich in den Räumen des ehemaligen Hotels Rafael an der Hauptstraße der Stadt, nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt, befindet. Das Gebäude erstreckt sich über mehrere Geschosse und hat auch zwei Terrassen und eine kleine Veranda, die zu einem Gässchen hin ausgerichtet ist, und wo sich heute bei Sonnenschein viele der jungen Menschen, die hier leben, gesammelt haben. Ich werde von den anwesenden Mitarbeitern und dem Verantwortlichen empfangen, der sich sofort bereit erklärt, mir die Situation im Zentrum zu erläutern.

Die Struktur ist von der Präfektur berechtigt, 37 Minderjährige aufzunehmen und momentan ist sie komplett belegt. Die Jugendlichen kommen hauptsächlich aus frankophonen Ländern, wie Mali, Senegal, Guinea und der Elfenbeinküste, jedoch sind auch junge Männer aus Nigeria, Gambia und Ägypten dabei. Das Durchschnittsalter der Gäste beläuft sich auf 17 Jahre, es sind aber auch Jüngere dabei, wobei niemand jünger als 14 Jahre ist. Alle sind ab dem 12. September angekommen. „Der vom Gesetz vorgesehene 90-tägige Aufenthalt ist bis jetzt respektiert worden – erklärt mir der Verantwortliche – aber das bedeutet nicht, dass das Verfahren nicht eingeleitet wurde, oder dass Integrationsaktivitäten zugunsten der Jugendlichen nicht angefangen worden wären“. Wir sprechen dann alle die Aufnahme von Minderjährigen betreffende Probleme an und insbesondere die Frage der Vormundschaft. „Das Gericht in Catania hat mich gerade informiert, dass die Akten, die die Minderjährigen betreffen, die bis zum 12. September angekommen sind, so gut wie abgearbeitet sind. Demnach werden unsere Jugendliche die nächsten sein, weil sie eben an diesem Tag angekommen sind. Dank der Vorgehensweise, die auch vom Gericht in Catania bestätigt wird, die das zeitlich begrenzte Anvertrauen von Minderjährigen einem Mitarbeiter der Struktur ermöglicht, konnten wir schon vorab das Formular C3 von denen ausfüllen lassen, die sich dahingehend geäußert hatten, dass sie internationalen Schutz beantragen wollen und infolge dessen deren Einschulung in die Wege leiten. Für die Minderjährigen aus Ägypten hingegen werden wir auf die Ernennung eines Vormundes seitens des Gerichtes warten müssen“. Wir tauschen uns bezüglich der Schwierigkeiten dieses Verfahrens aus, das das Risiko mit sich bringen kann, dass die Ernennung eines Mitarbeiters der Struktur zum Vormund sich zeitlich ausdehnen kann, was zu Folge haben könnte, dass die Überparteilichkeit des Vormundes darunter leiden würde, wobei sie zum Schutz des Minderjährigen unabdingbar ist. Der Verantwortliche stimmt überein, dass dieses Verfahren nur zum Vorteil der Jugendlichen benutzt werden darf und auch nur, um das Allernötigste zu erledigen, bis zur Ernennung des geeigneten Vormunds. Und so, bestätigt er mir, ist bis jetzt auch im Zentrum verfahren worden. Die Minderjährigen kommen hierher aus verschiedenen Gebieten Siziliens, hauptsächlich jedoch nachdem sie in Augusta, Catania oder im nahegelegenen Hafen Pozzallo angelandet sind. Unter denen, die in andere Strukturen untergebracht wurden, gibt es einige, die in Ragusa geblieben sind und die manchmal, so wie auch heute, vorbeischauen. In der Struktur arbeiten drei Mitarbeiter, zwei Nachtwächter, zwei Rechtsanwälte, ein Psychologe, ein Berufsberater und  zwei Sprachmediatoren, die sowohl Französisch als auch Arabisch sprechen. Alle Mitarbeiter sprechen jedoch ziemlich gut Englisch und Französisch und, um mit Minderjährigen zu kommunizieren, die eine andere Sprache sprechen, werden im Notfall andere Sprachmediatoren hinzu gerufen. Einmal in der Woche ist ein Arzt in der Struktur anwesend und die Jugendlichen, die schon Papiere haben, haben auch eine Gesundheitskarte. Die Mitarbeiter von Save The Children kommen oft, um einfach mit den Jugendlichen zu reden und haben jetzt einen Weiterbildungskurs für die Mitarbeiter angeboten, der voraussichtlich in den nächsten Monaten stattfinden wird. Den Minderjährigen wird einmal im Monat ein Taschengeld bar ausgezahlt und sie bekommen neue Telefonkarten. Für das Essen ist hingegen ein externer Caterer zuständig und in letzter Zeit versuchen die Köche vermehrt, mit den Bewohnern die Menüs abzusprechen. Im Gespräch mit den Jugendlichen kommen keine Beschwerden diesbezüglich auf.
Wir sitzen zusammen im Büro des Verantwortlichen und unser Plausch wird oft von den Jugendlichen unterbrochen, die  entweder nur grüßen oder etwas fragen wollen. Die Atmosphäre zwischen Mitarbeitern und Bewohnern scheint entspannt und vertraulich zu sein. Wir drehen nun eine kleine Runde durch die Struktur: Es gibt 23 Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad und zwei Stockbetten, jedoch sind höchstens drei Betten je Zimmer belegt. Es gibt neben Büroräumen weitere Gemeinschaftsräume, wie einen großen Wohnraum, der an die Veranda angrenzt, wo die Mahlzeiten eingenommen werden und z.B. jetzt einige Jugendlichen dem Italienischkurs folgen. „Eine der ersten Sachen, die wir hier angehen, ist die Schulanmeldung“, erzählt mit der Verantwortliche. „Der jüngste Bewohner ist an der Grundschule angemeldet und er ist so herzlich aufgenommen worden, dass wir alle, und wahrscheinlich sogar er, erstaunt waren. Sonntags wird er von seinen Schulkameraden nach Hause zum Essen eingeladen und so hat er schon etliche Familien hier in der Stadt kennengelernt. Deswegen sind wir ja sehr bemüht, dass er, wenn er das Zentrum verlassen wird, hier in Ragusa bleiben kann und nicht woandershin muss, wo er wieder von vorne anfangen muss“.
Die Schule scheint alle Jugendliche zu begeistern, auch wenn von denen, die älter als 16 Jahre sind, bis jetzt nur 20 die Möglichkeit hatten, an den Abendkursen teilzunehmen. Einigen von ihnen lernen auch autodidaktisch und sitzen dafür auf der Veranda, wo ich am nächsten Morgen einige antreffe. Der Gemeinschaftsraum ist der Treffpunkt um Musik zu hören, ein wenig die Sprache mit den Mediatoren zu üben, insbesondere für diejenigen, die Arabisch sprechen oder, so wie in meinem Fall, um einfach mit jemanden zu plaudern. „Für mich ist es einfacher geworden mit dem Handy zu sprechen“ – sagt mir O. – „auch weil ich erst seit kurzem hier bin und noch niemanden in der Stadt kenne. Deswegen rede ich mit meinen Freunden und Verwandten, die in Holland, England und verteilt in Europa leben. Sie haben mich ermutigt, als ich den Entschluss fasste, mein Land zu verlassen. In meinem Land hast du nicht die gleiche Sicherheit, wie hier in Europa: Wenn du auf der Straße unterwegs bist, kann dir alles Mögliche widerfahren und niemand beschützt dich“. Auch A., der neben seinem Freund sitz, bekräftigt diese Aussage: „Es ist wahr: Hier geht es uns gut. Und ich will in Italien bleiben. In meinem Land, in Guinea, habe ich studiert und deswegen kann ich sieben Sprachen sprechen, unter ihnen Französisch und Englisch. Ich konnte aber dort  nicht mehr bleiben: Deswegen habe ich eine Reise unternommen, die zwei Jahre und acht Monate gedauert hat; Ich habe in Algerien sehr hart gearbeitet und versucht durch Marokko nach Spanien zu gelangen, schaffte es aber nicht und musste deswegen durch Lybien reisen“. Wie A. wollen auch viele andere Jugendliche nicht weiter über ihren Aufenthalt in Lybien erzählen, von dem einige teilweise noch deutliche Spuren auf der Haut tragen. „Für uns ist es immer noch erstaunlich zu sehen, wie sich die Jugendlichen innerhalb von zehn Tagen verändern“, erklärt uns ein Mitarbeiter. „Man sieht das auch ganz klar auf den Fotos, die zu einem späteren Zeitpunkt für die Papiere benötigt werden. Schon nach einigen Tagen hier ist ihr Gesicht wieder das Gesicht von Jugendlichen, die Anstrengungen und Ermüdung, die vor und während der Reise das Gesicht aufgezehrt hatten, weichen schnell einer fröhlicheren Miene“.  Es ist auch deswegen sehr wichtig, dass das Fachpersonal den Jugendlichen hilft, der Kommission die Schwere der Lage, in der sie sich befunden haben, begreiflich zu machen und sie von der Notwendigkeit des Schutzes und der zukünftigen Sicherheit zu überzeugen und somit den Minderjährigen die Unterstützung zu gewähren, die eine solche Struktur vor allen Dingen garantieren sollte.
Am lebhaftesten sind einigen Jungen aus Ägypten, die von einem Zimmer zum nächsten flitzen und mit dem Handy Musik hören. „Viele von ihnen gehen raus, treffen sich mit Landsleuten und spielen dann Fußball auf einem nahegelegen Spielplatz. Jetzt haben wir die Genehmigung ersucht, einen weiteren Platz am Ende der Straße benutzen zu dürfen, aber das Ganze geht hier sehr langsam voran und man muss viel Geduld haben“, ergänzt der Verantwortliche. M. zeigt mir einige Zeichnungen, die an der Wand hängen: „In Gambia habe ich Stoffe und Kleider gezeichnet. Genau das will ich hier auch machen. Ich habe viele Amerikaner und Engländer kennengelernt, die in meine Stadt kamen, um die Techniken zu erlernen, die ich anwendete. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass, wenn ich es schaffe, meinen Namen bekannt zu machen, meine Zeichnungen und meine Kleider auch in Italien wertgeschätzt werden. Ich darf meinen Beruf leider in meiner Heimat nicht mehr ausüben“. Viele Projekte für die Zukunft und viel Geduld im Warten auf die Zukunft! Sicherlich ist die Tatsache, dass man nicht mehr ganz alleine ist, schon an und für sich ein Vorteil und ferner, sagt M. „Ich bin sicher, dass deine Möglichkeiten steigen, je mehr Mut du in der Suche danach zeigst“. Und man komm nicht umhin, ihm Recht zu geben.

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen übersetzt von Antonella Monteggia