...während die Ankünfte an der Ostküste Siziliens unvermindert anhalten
Wer sich entschliesst zu flüchten, weil er um seine Leben fürchtet, kann nicht warten. Während in Europa noch verhandelt wird, wie der Übergang und die Koordination der Operationen Mare Nostrum und Triton organisiert und koordiniert werden sollen, sind weiterhin Migranten auf dem Seeweg nach Europa unterwegs. http://espresso.repubblica.it/attualita/2014/11/11/news/immigrazione-triton-parte-tra-le-polemiche-1.187441?ref=fbpe. In der Nacht des 14. November wurden etwa 50 Seemeilen vor der lybischen Küste 4 Flüchtlingsboote von der Küstenwache und der italienischen Marine gerettet. Die Flüchtlinge wurden anschliessend auf die „San Giorgio“ gebracht.
Die vorgesehene Anlandung im Hafen von Augusta wurde nach Pozzallo verlegt, wo am Morgen des 16. November 862 Migranten (darunter 101 Frauen, 81 Minderjährige, 7 von ihnen unbegleitet) von Bord gingen.
Die italienische Flotte hat den Alarm der Flüchtlingsboote glücklicherweise bereits einen Tag nach deren Abfahrt aus Libyen empfangen. Dadurch befanden sich die Migranten in relativ gutem Zustand bei ihrer Ankunft, obwohl die Prozedur der Ausschiffung in Pozzallo den ganzen Sonntag in Anspruch nahm. Viele sind direkt vom Hafen von Pozzallo aus mit Bussen weiter transferiert worden: 139 nach Florenz, 96 nach Palermo, 50 nach Messina, 108 nach Syrakus und am Montag noch 139 nach Padova, in der Hoffnung auf bessere Unterbringungsmöglichkeiten.
Entlang der Ostküste der Insel Sizilien nimmt die Anzahl der Flüchtlinge und der Nationalitäten zu. Es sind Menschen aus Nigeria, Gambia, Eritrea, Somalia, Syrien, Ägypten, Palästina, Marokko und Pakistan, die sich mit den bereits gestrandeten Migranten zusammenfinden.
Denn seit Samstag bis am darauffolgenden Donnerstag sind 920 Flüchtlinge im Hafen von Augusta und 477 im Hafen von Porto Empedocle von Bord gegangen http://www.ansa.it/sicilia/notizie/2014/11/20/nave-con-600-migranti-ad-augusta_6c903304-e26d-43aa-a731-09a4bc9ca5f3.html. Zudem landen weiterhin Migranten auch in Pozzallo. Zur gleichen Zeit erreichten mehr als 1000 Flüchtlinge zwischen Taranto und Reggio Calabria die italienische Küste http://ragusa.gds.it/2014/11/20/giunti-a-pozzallo-120-migranti-in-arrivo-altri-450_265657/.
Das Aufrechnen der Anzahl Flüchtlinge, wir wissen es, kann gefährlich sein, wenn es nicht darauf ausgerichtet ist, das Verständnis für die Situation zu fördern und den Schutz und die Unterstützung aller Leidtragenden voranzutreiben, die sich hinter diesen Zahlen verbergen.
Es sind Männer, Frauen und Kinder, die mit dem Leben davongekommen sind und die, auch nachdem das Interesse der Medien an ihnen erloschen ist, unter uns leben, weiter auf der Suche nach Glück und Freiheit, für die sie ihre Reise angetreten haben.
Mit ihrem Schicksal durchbrechen sie das bürokratische Netz eines entmenschlichenden Systems, das es nicht als seine Aufgabe ansieht, die Gründe auszuleuchten, weswegen tausende von Menschen auf der Flucht sind oder migrieren, oder wenigstens für eine Aufnahme sorgen, die ihres Namens würdig ist.
Am 19. November, nach mehr als 10 Tagen nach ihrer Ankunft am 3. November, sind sie in der Tat immer noch im Zentrum für die Erstaufnahme von Pozzallo; es sind 46 minderjährige Ägypter und 5 Somalier.
Von aussen sieht man sie hinter den Fenstern des Zentrums. Wir erinnern uns - das Zentrum ist nicht für unbegleitete Jugendliche vorgesehen. Aber die bereits etablierte Handhabung der „Notfallsituation“ und die fehlenden alternativen Strukturen, die von den Behörden erwähnt werden, zwingt sie zu warten und zu hoffen.
Wir erkundigen uns bei ihrer gesetzlichen Vormundin, Frau Doktor Mara Aldrighetti, die sich seit einem Monat für die Minderjährigen einsetzt.
„Am 25. Oktober bin ich zur Vormundin der Jugendlichen ernannt worden und seither tue ich mein möglichstes, um ihre sofortige Verlegung in eine für Kinder geeignete Einrichtung zu veranlassen. Nun, in Anbetracht der Umstände und ihrer stets wachsenden Zahl, richten sich meine Bemühungen vor allem darauf, ihnen innerhalb des Aufnahmezentrums gute Bedingungen zu schaffen, getrennt von den Erwachsenen. Wir organisieren mit Hilfe der lokalen Volontäre soziale Aktivitäten. Vor allem aber habe ich auf den Abschluss eines Übereinkommens mit einer geeigneten Institution vor Ort für die allererste Aufnahme der Minderjährigen gedrängt. Wir erwarten die amtliche Beglaubigung in diesen Tagen und somit die Bestätigung der Erlaubnis für den Betrieb, immer das leider lange administrative Prozedere befolgend. Ist dieses Übereinkommen unterzeichnet, wird kein Minderjähriger in das Erstaufnahmezentrum kommen.“
Das sind Maras Worte. Gleichzeitig ist sie daran, eine Überführung von 17 Jugendlichen in ein Zentrum in Caltanissetta zu organisieren. Sie verlangt die höchstmögliche Transparenz über das Vorgehen während der Begleitung und der zukünftigen Eingliederung der jungen Migranten in die neue Gemeinschaft. Rundschreiben, Telefonate, Klarstellungen kontrastieren mit dem Festsitzen der Jungen im Hangar [Gebäude des CPSA von Pozzallo, Anm. der Red.], dort sind sie unsichtbar für die Stadtbewohner und nicht nur für diese. Wir erfahren, dass den Migranten im Unterschied zu den vorherigen Monaten das Verlassen des Zentrums nicht erlaubt ist:
“Es war eine Entscheidung, die mir als Vorsichtsmassnahme nahegelegt wurde, denn die Jugendlichen versuchten wiederholt während der ersten Ausgänge zu flüchten“ erklärt Mara.
„Die Ausgangsregeln werden jedes Mal erneut festgelegt, abhängig von der Anzahl Migranten und zu ihrer Sicherheit. Zuerst wurde auf diese Fluchtversuche reagiert, indem den Jugendlichen nicht einmal erlaubt wurde im zentrumseigenen Hof zu verweilen. Jetzt habe ich wenigstens erreicht, dass sie sich innerhalb des Zentrumsgrundstückes draußen aufhalten dürfen.“ Erinnern wir uns daran, dass das Eingangstor Tag und Nacht von Sicherheitskräften bewacht wird. Man kann sich unschwer vorstellen, wie schädlich diese Isolation für Kinder im Alter von 11, 12 Jahren ist, die im Ungewissen auf eine weitere Verlegung warten.
Für diese Jugendlichen hat sich ihre grosse Anzahl als Nachteil erwiesen. Sie werden als eine grosse Gruppe behandelt, deren adäquate Unterbringung und Unterstützung schwierig ist in einem komplexen, oft zu bürokratischen System. Noch schwieriger und leider meist dem Zufall überlassen ist die Suche nach geeigneten Räumen und das Finden von Fürsprechern, die sich jederzeit für die Jugendlichen und ihre Bedürfnisse und Rechte auf dem langen Weg, der noch vor ihnen liegt, einsetzen.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne
*Zentrum für die erste Hilfe und Aufnahme