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Freitag, 7. November 2014

Das Aufnahmezentrum UMBERTOI in Syrakus: Auf der Suche nach ein bisschen Zeit in der Unterbringung, die sich nicht planen lässt

Das Aufnahmezentrum Umberto I., das von der Kooperative Clean Service geführt wird, liegt unweit des Stadtzentrums – „etwa 15 Minuten mit dem Fahrrad“ - wie uns Migranten informieren, die dort waren. Wir erkennen gleich, dass wir unser Ziel erreicht haben, denn vor dem Gebäude ist die erhöhte Präsenz der Carabinieri und der Armee sichtbar.
Heute ist Donnerstag und der Polibus von Emergency, in dem sonst an allen Nachmittagen der Woche medizinische Sprechstunden und interkulturelle Mediation angeboten werden, ist geschlossen, weil die Betreiber heute an einem andern Ort ihren Dienst ausüben. Darum sehen wir heute keine Warteschlangen von Migranten vor dem Bus. 
Wir zeigen den Beamten der Carabinieri unsere Besuchserlaubnis und nach einer Kontrolle unserer Ausweise begleiten sie uns zum Leiter der Institution Giampiero Parrinello, der uns in den Innenhof des Gebäudekomplexes führt.
Und hier verbleiben wir auch während der zwei Stunden unseres Besuches, denn – so informiert uns  Direktor Parrinello – die Zimmer und Aufenthaltsräume werden gerade renoviert und können darum nicht besichtigt werden.
Wir befinden uns in einem grossen rechteckigen Hof, typisch für eine Schule, die das Aufnahmezentrum Umberto I. früher war. Rundherum auf den beiden Stockwerken des Gebäudes verlaufen offene Balkongänge, zu denen sich die Räume öffnen, in denen die Migranten untergebracht sind.
Wir erkundigen uns nach den getroffenen Vereinbarungen zwischen Clean Service und der Präfektur, was den Betrieb des Zentrums betrifft. Mit Verwunderung nehmen wir zur Kenntnis, dass die Situation nicht klar geregelt ist. Ursprünglich war Umberto I. von den Behörden als  erstes Aufnahmezentrum vorgesehen. Tatsächlich aber sind die Bewohner, die von der Präfektur hierhin verwiesen werden in verschiedenen Stadien ihrer Migrationsverfahren und zum Teil schon seit drei Jahren in dieser Empfangseinrichtung. Der Grund dafür liegt offensichtlich darin, dass das Zentrum zur Zeit des sogenannten  “Notfalls Nordafrika” ins Leben gerufen wurde und der Notfallcharakter erhalten blieb.
Um die Situation zu klären, beschreibt Direktor Parrinello die aktuelle Sachlage: derzeit sind etwa 200 Bewohner, unter ihnen eine Familie aus Syrien, die von einem Zentrum in Agrigento zugwiesen wurde, und etwa 120 Migranten, die soeben in Italien angekommen sind anwesend, sie stammen hauptsächlich aus dem Subsahararaum.
Daneben finden sich auch 80 sogenannte “Permanente oder Daueraufenthalter”, wie sie Parrinello definiert. Es sind einige Migranten darunter, die als Zeugen für die Justiz wichtig sind. Andere Flüchtlinge sind solche, die wieder aufgenommen wurden, weil sie das Territorium von Syrakus aus noch nicht abgeklärten legalen oder bürokratischen Gründen nicht verlassen dürfen. Das bedeutet, dass Personen, die erst vor drei Tagen oder einer Woche  hier angekommen sind, zusammenleben mit anderen, die seit Monaten hier wohnen. Letztere sind in einem laufenden Verfahren für den Antrag auf internationalen Schutz als Flüchtlinge oder sie warten auf  Dokumente verschiedenster Art oder weilen aus andern Gründen länger hier.
“Solche Gegebenheiten sind Alltag für uns”, meint Parrinello, “daneben  betreuen wir Migranten, die auf ihre Rückführung warten müssen oder solche, die von Krätze befallen sind in separaten Räumen. Wir versuchen trotz aller Schwierigkeiten unser Bestes.“
Wir begegnen wenigen Personen, die meisten sind Reinigungsangestellte, Mitarbeiter oder Aufsichtspersonal, die sich im Hof aufhalten. „Ihre [die des Aufsichtspersonals] Anwesenheit dient dazu, den Missbrauch dieser offenen Einrichtung durch einige Profiteure zu verhindern. Die 15 Angestellten des Zentrums arbeiten Tag und Nacht im Schichtdienst, das heisst die Bewohner sind nie allein“, unterrichtet uns der Direktor. Von den Migranten sehen wir nur wenige. Vor allem die Syrer und Palästinenser entfernen sich in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft, manchmal schon nach Stunden.
Direktor Parrinello: „Mit der Zeit begannen wir, die genaue Zahl der Anwesenden zu registrieren, um den unberechtigten Gerüchten über Spekulationen unsererseits keinen Anlass zu geben. Jedem wird ein Zimmer zugewiesen, das er selbständig bewohnt. Falls die Migranten nicht bereits am Hafen fotographisch registriert wurden, müssen sie in zwei grossen Aufenthaltsräumen auf die erkennungsdienstlich Erfassung durch die Polizei warten, die ein Büro hier im Erdgeschoss hat. Mit der Zeit haben wir auch die medizinische Versorgung sehr verbessert. Wir wurden dabei von Emergency unterstützt und, ich sage es Ihnen ehrlich, auch im totalen Chaos haben wir manches verbessern können. Es ist uns sicher gelungen, Fälle von Promiskuität zwischen Erwachsenen, Minderjährigen, Familien oder andere „ besondere Vorkommnisse“ zu verhindern, die wir leider vor einigen Jahren noch erleben mussten, und das obwohl die Ankündigung neuer Bewohner nach wie vor viel zu kurzfristig ist.“
Den Hof durchquerend erreichen wir die Mensa und finden dort Reihen abgestellter Fahrräder vor.
Einige Jugendlich aus Pakistan sitzen neben der Kaffeemaschine in einem sonst leeren Raum, der uns enorm gross zu sein scheint.
„Es sind sehr viele junge Leute, die bei uns aus und eingehen. Wir haben uns letzthin entschlossen, ihnen ein tägliches Taschengeld von 2,50 Euro in Form von Telefonkarten und Zigaretten auszuzahlen. Sie benützen  Fahrräder oder den Autobus, den sie aber nicht bezahlen können, aber meistens erhalten sie kein Bußgeld. Das gilt vor allem für die, welche länger bei uns bleiben. Die Betreiber versuchen ihr möglichstes, den Alltag im Zentrum auch mit Rücksicht auf diese Langzeitbewohner zu organisieren“, erklärt Parrinello  weiter, „von vielen von ihnen kennen wir die Umstände, wir sind Freunde geworden und im Wissen um ihre  schwierige Situation des Wartens organisieren wir Aktivitäten wie zum Beispiel das Anschauen der Fussballspiele diesen Sommer oder wir suchen das Gespräch mit ihnen und wir versuchen ihnen die Integration zu erleichtern, indem wir mit andern Institutionen hier zusammen arbeiten. Für diejenigen unter ihnen, die als Zeugen vor Gericht erscheinen, arbeiten wir mit der Vereinigung Proxima in Ragusa zusammen. Da suchen wir auch manchmal andere Orte, an denen wir sie unterbringen können.
Aber ihr müsst verstehen, dass das alles sehr zeit- und energieaufwändig ist, ganz abgesehen von den räumlichen Möglichkeiten, die wir hier nicht haben. Einige von ihnen, die länger hier sind, finden auch kleinere Arbeiten. Es ist Schwarzarbeit vor allem  in der Landwirtschaft. Die Arbeitgeber stellen ihnen ein Fahrrad zur Verfügung. Es ist für uns eine heikle Situation, weil wir behindert werden durch chaotische, organisatorische politische Bedingungen, die sich hinter dem Konzept „Notfall“ verbergen.“

Beim Weggehen nehmen wir uns vor, bald wieder zu kommen. Mit den Migranten haben wir kaum mehr als ein paar Worte gewechselt.

Der Zufall will es, dass ich wenige Tage später in Città Giardino, einem kleinen Zentrum in der Nähe von Syrakus, auf eine Gruppe von fünf Jugendlichen treffe, die vorher im Zentrum Umberto I. waren. 

Sie verfolgen meine Erzählung aufmerksam und wollen ihrerseits von ihrem Aufenthalt dort berichten.
C. meint: „Es ist die Wahrheit, dass du gar nicht verstehst, wo du dich befindest, nach einer Reise, auf der du beinahe den Tod gefunden hast, also für mich war es so. Ich war fünf Tage im Umberto I.. Ich erinnere mich an die Menschen, die Räume, an das Meer, das man von weitem sah. Es war wie ein provisorisches Lager für mich, das ist doch normal, nicht?“
E. der länger im Umberto I. verweilte, gesellt sich dazu: „Ich denke, dass wir zu viele waren. Nicht nur wegen des Platzmangels,  auch aus andern Gründen. Zeit war nur für das absolut Notwendigste, denn die Betreiber hatten viel zu tun. Sie sagen, der Grund seien die Notfälle.
Mit den Ärzten sprach ich oft. Aber dann gingen auch sie weg. Es wurde zwischen denen, die schon länger da waren und denen die neu kamen unterschieden. Ganz ehrlich, viele Probleme der Unterbringung und solche organisatorischer Art schienen mir als unnötige Befürchtungen, mehr oder weniger waren wir doch alle in der gleichen Situation.“ 
“Ich bin nicht einverstanden”, erwidert A. „bei meiner Ankunft, zum Beispiel, verstand ich kein Wort italienisch. Und nicht verstehen tut weh. Aber von etwas bin ich überzeugt: wenn jemand Zeit mit mir verbrachte, versuchte auf irgendeine Art mit mir zu kommunizieren und sich für mich und meine Lage interessierte, dann verging meine Traurigkeit. Ich glaube, das ist etwas, was wir alle brauchen, dass uns jemand etwas Zeit gibt – gratis.“

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne