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Montag, 22. September 2014

Ein schwieriger Neuanfang: Besuch Im CAS von Chiaromonte Gulfi

Es gibt zahlreiche Schilder, die den Weg weisen zu "Le Mole", vorher eine Agriturismo, Urlaub auf dem Bauernhof, und jetzt außergewöhnliches Flüchtlingszentrum. Es liegt im Stadtbezirk Pian dell'Acqua in der Gemeinde Chiaramonte Gulfi und wird von der Genossenschaft "La Sorgente" geleitet. Der in einem wunderschönen Land voller Olivenbäume gelegene Ort ist nur mit einem eigenen Fahrzeug, Auto oder Roller, einfach zu erreichen.  Zur Bushaltestelle muss man sehr weit laufen, und die abgelegenen kleinen Straßen sind nicht einfach zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu meistern.
Ich komme am Zentrum an und nachdem ich durch das Tor gegangen bin, befinde ich mich in einem riesigen Garten mit Obstbäumen, Tischen Möbeln, die alle n och von Tourismus zeugen. Ich treffe eine Gruppe von drei jungen Leuten und stelle ich mich vor. Sie sind erstaunt über meinen Besuch. Sie sagen, ich bin eine der wenigen externen Personen seit Monaten, die sie sehen. "Niemand kommt hierher" abgesehen von den Mitarbeitern, die gerade im Hauptgebäude sind. Die Jungen erklären mir die Situation im Zentrum: Von im Durchschnitt 20 Menschen wohnen heute nur noch neun Personen dort. Sie sind alle Männer aus Gambia. Die Mehrheit ist seit langem dort: nein, fünf, drei Monate, und ein junger Mann mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ist dort schon seit einem Jahr! Nach den ersten Fragen über das Zentrum zeigen mir die Jungen ihre Ratlosigkeit und Unduldsamkeit, die auch von einem vorbeigekommenen Mitarbeiter bestätigt wird. Zunächst ein Gefühl von Machtlosigkeit und Frustration aufgrund des langen Wartens auf Unterlagen: Wer schon ein Interview mit der Kommission geführt hat, wartet heute noch auf eine Antwort bzw. eine Aufenthaltsgenehmigung. Morgens am Telefon hatte ich schon von der Leiterin des Zentrums, Frau Ventura, über die kritische Situation gehört. „Wir versuchen alles Mögliche zu tun, wir drängen die zuständigen Beamten, und wir verstehen den Ärger der Flüchtlinge“ sagt Vera. „Ich verstehe nicht was sie tun“ sagt E., der im Januar in Pozzallo angekommen ist, „letztendlich müssen sie nur ein Dokument ausfüllen und stempeln. Für mich entscheidet sich, wie und wo ich weiterleben kann“. Das Thema zieht die Aufmerksamkeit aller Anwesenden an. „Ich habe in ein paar Tagen einen Termin bei der Kommission, aber ich habe keine Ahnung, was mich erwartet“, sagt L. dazu. Wir reden über das Interview, wie es ausgestaltet ist und was für Entscheidungen die Kommission treffen kann, und während L. mit mir seine Wasserflasche teilt, erzählt er mir wie sein Leben vor der Flucht in Gambia war und vor allem, wieso er fliehen musste. Gewaltgeschichte, Gefangenschaft, die unter dem Schatten dieser wunderschönen Bäumen surreal klingen, die sich aber jeden Tag wieder in die Gedanken drängen. „Es ist schwierig, wenn man nichts zu tun hat, weißt du“. Dass ist ein weiteres Thema, das während unserem Gespräch lang diskutiert wird. Jeder junge Mensch erzählt mir es wieder. „Hier ist der Ort wunderschön, aber wir essen und schlafen ausschließlich. „Um die Zeit zu verbringen haben wir nur das Handy und die Zigaretten, wir reden auf Englisch, mit wenigen italienischen Wörtern, wir haben nie an einem Kurs teilgenommen, und vor allem haben wir niemanden, mit dem wir sprechen können!“. A. erzählt: „ Ich bin nur zweimal nach Ragusa gefahren, die Mitarbeiter haben mich zur Bushaltestelle begleitet, ich kann und will nicht denken, dass ich hier noch lange Zeit warten muss, ohne dass ich neue Menschen kennenlernen kann, ohne dass ich frei in der Stadt rumlaufen darf. Ich bin 25, ich bin vor zwei Jahren von meinem Heimatland geflohen, und nachdem ich durch Senegal, Mali, Burkina, Libyen durchgefahren bin, zwei gute Freunde von mir im Meer verloren habe, will ich nicht glauben, dass ich hier noch leiden muss, um einen Job, eine Familie, ein gültiges Dokument zu finden“. L. führt durch das Zentrum, die Zimmer, einen weiteren Garten und zeigt einen Punkt, wo der Pool war. „Ich trainiere jeden Tag, ich laufe zehnmal bis dem Ende des Feldes. In Gambia war ich ein Profi Fußballspieler und hier würde ich so gern weiterspielen. Soweit dass ich in diesen Ort bleibe, ohne Kontakt mit Menschen, Unterlagen, kann ich nur träumen. Ich unterhalte mich für weitere zwei Stunde mit den jungen Menschen unter der Laube; sie stellen mir viele Fragen über das Leben in Italien, über die näher gelegenen Städte, über die Arbeit und so, ohne dass wir es gemerkt haben, ist Mittagessenzeit. Zwei Jungen kommen von der Arbeit auf dem Land zurück: heute haben sie für drei Stunden gearbeitet, wie es manchmal vorkommt, und sie sind damit zufrieden. „Nichts tun ist gleich verrückt werden“ E. bringt Äpfel mit, er hat noch Lust sich mit uns zu unterhalten. „Das Essen kann heute warten“ sagt er. „Manchmal kommen hierher Touristen, die glauben, dass es hier noch das Restaurant gibt, und sie sagen dass wir sehr glücklich seien müssen, hier zu sein. Stimmt, dieser Ort ist sehr schön, aber für uns ist es noch schwieriger, unsere Einsamkeit und Regungslosigkeit auszudrücken“. Diese Unbeweglichkeit und Isolierung bedeuten Verzweifeln und strukturelle Gewalt für denjenigen, die hier unbedingt mit einem neuen Leben beginnen möchte. 

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Miriam Bulbarelli