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Mittwoch, 6. August 2014

Portopalo: CAS für unbegleitete Minderjährige vor dem Kollaps. Die Erzählung eines jungen Bewohners

Das CAS (centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum) für unbegleitete Minderjährige „Villa Montevago“ in Caltagirone hat am Freitagabend die Türen geschlossen. Die Jugendlichen sind wieder dem CAS von Ispica zugeteilt worden (63 von ihnen), sowie dem in Portopalo von Capo Passero in der Provinz Siracusa, wohin 29 Jugendliche geschickt wurden, zusätzlich zu den 44 bereits im ehemaligen B&B „Aloha“ Untergebrachten. Die neu Angekommenen sind alle aus Mali, wie sich im Gespräch mit einem Jungen aus Gambia herausstellt, der schon seit zwei Monaten im Zentrum lebt. Es handelt sich um einen weiteren Schritt des Übergangs, von einem Sonderunterbringungszentrum ins nächste, immer darauf wartend in ein Sprar-Zentrum versetzt zu werden, oder in eine spezielle Einrichtung, und die Dokumente zu erhalten, die ihnen den Beginn eines neuen Lebens erlauben.

Die Ungeduld durch das ermüdende Warten spiegelt sich in den Gesichtern der jungen Afrikaner wieder, die sich auf den Balkonen zeigen und sich an die Tore klammern. Mir wird durch die Art, in der sie mich ansehen, als ich mich dem Eingang nähere, bewusst, dass sie mit mir sprechen wollen.

Ich überquere den kleinen Hof und trete in das Zimmer ein, das der Aufenthaltsraum sein müsste: einige Jugendliche liegen auf den Sofas, andere halten sich vor dem Fernseher auf oder unterhalten sich mit einer Partie Billard. Ich gehe weiter in ein kleines Zimmer mit Hochbetten, die Hitze ist erdrückend, und zwei Angestellte, sofort bereit mich zu empfangen, leiten mich in ein anderes Zimmer, das auf den ersten Blick wie ein Büro aussieht. Als ich beginne mit dem Arzt des Notdienstes von Portopalo zu sprechen, der seit Mai gemeinsam mit einer Ärztin des Asp (örtlicher Gesundheitsdienst) die medizinische Versorgung der Migranten des Zentrums sicherstellt, erfahre ich, dass das Büro auch als Krankenstation fungiert. Tatsächlich bemerke ich in einer Ecke einen Schrank für Medikamente, aber es gibt keine Liegen für die Untersuchungen. Der Arzt bestätigt mir die Unangemessenheit der Einrichtung, zählt detailliert die hauptsächlichen Probleme auf, allen voran die Verspätung der Zahlungen, die an die Einrichtung gehen. Die Angestellten, im Moment acht in Portopalo, erhalten kein regelmäßiges Gehalt und der Mangel an finanziellen Mitteln trägt nicht dazu bei, dass die Minderjährigen, alle theoretisch im Kindesalter, Laboruntersuchungen erhalten, die eventuelle Krankheiten offenbaren könnten, und die, wie er hervorhebt, nicht immer bei der Sichtung im Moment der Anlandung ausgeschlossen würden. Der Arzt fügt hinzu, dass er mehrere Male Anfragen gestellt hätte, die Minderjährigen zahnärztlich und augenärztlich untersuchen zu lassen, aber nie eine Antwort bekommen hat.

„Das Zentrum steht vor dem Kollaps“, erzählt er mir. „Die Jugendlichen, 73 insgesamt, sind auf acht Zimmer aufgeteilt, mit nur einem Bad für sieben/acht Personen und sie fühlen sich veräppelt. Sie informieren sich über soziale Netzwerke, wissen, dass sie hier nicht länger als drei Tage bleiben sollten, aber einige sind hier schon seit drei Monaten. Sie möchten zur Schule gehen, sie brauchen die Möglichkeit ihr Leben zu leben.“ Die Sprar-Zentren von Rom und Bologna seien mehrmals von den Verantwortlichen des Zentrums kontaktiert worden, aber bisher hätte keines sich bereit erklärt, die Überstellung durchzuführen, geschweige denn Informationen über einen Zeitpunkt dafür zu geben. Der Arzt stellt außerdem das Fehlen eines Aufnahmeplans zwischen den Einrichtungen für Minderjährige in Augusta und Portopalo heraus, die Kommissariate derselben Provinz sind. 

Nach diesem langen Gespräch verlasse ich das Zentrum und höre eine Stimme, die nach mir ruft. Ein Junge holt mich ein, rennend, mit großen braunen Augen und einem Lächeln auf den Lippen. Er fragt mich, ob wir uns unterhalten können und ob er mir das Meer zeigen könne; er spricht ein perfektes Englisch. Wir machen uns auf den Weg zum Strand und er erzählt mir gleich, dass er es müde sei, nur zu essen und zu schlafen. Er brauche einen Freund, aber sobald er versuche, jemanden auf der Straße anzusprechen, ernte er nur schlechte Worte.  Er erzählt mir, dass er sein Zuhause vor fünf Monaten verlassen hätte, sein Vater wollte für ihn ein besseres Leben, weit weg von der Diktatur. Er hat nur einmal mit seinen Eltern telefonieren können, seitdem er hier angekommen ist. Nachdem er im Senegal gearbeitet hatte, um ein bisschen Geld beiseite zu legen, hat er die Sahara auf einem Pick-Up durchquert. Er sieht einen solchen am Rand der Straße stehen und zeigt auf ihn: „Damit bin ich in Libyen angekommen, vier Personen auf dem Vordersitz, neun auf dem hinteren Sitz und sechsundzwanzig im Kofferraum. Es war schrecklich, aber wir konnten uns nicht dagegen wehren.“ In Libyen angekommen hat er 1100 Euro für die Überfahrt bis Italien bezahlt, während der er seinen liebsten Freund hat sterben sehen, um dann in Catania anzukommen und direkt nach Portopalo gebracht zu werden. Es sind seitdem zwei Monate vergangen und er hat immer noch keine Antwort auf das Ansuchen um Aufenthaltsdokumente erhalten.„Ich bin traurig, aber auch glücklich über die Möglichkeit, die ich habe, ein besseres Leben zu haben“, sagt er zu mir, als wir zum Zentrum zurückkehren, „ich versuche, nicht wütend zu werden und zu warten, dass die Dinge ihren Lauf nehmen.“

Wir verabschieden uns. Plötzlich dreht er sich noch einmal um und ruft: „Good luck Beatrice, thank you.“ Beatrice Gornati, Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Philine Seydel