siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Außerordentliche Aufnahmezentren von Caltanissetta

Das Aufnahmesystem in der Stadt Caltanissetta beschränkt sich in der Realität nicht auf nur auf Pian del Lago (und provisorischen Lager um das Zentrum). Hier, wie auch in fast ganz Italien, wurden mehrere außerordentliche Aufnahmeeinrichtungen eingerichtet.
Diese Zentren, die eigentlich nur für Notfälle gedacht sind, sind aber oft die einzigen Orte, wo Asylsuchende während der gesamten Wartezeit bis zur Anhörung vor der Asylkommission verbleiben. Da die Zentren für Notfälle gedacht sind, werden die Verträge nur zwischen dem Leiter des Zentrums und der Präfektur geschlossen. Die Vereinbarungen sehen nur Grundleistungen vor und es gibt keine Art der systematischen Kontrolle zu Gunsten der Schutzsuchenden, wenn überhaupt wird eine Klausel in den Vertrag eingebaut, die besagt, dass die Präfektur sich darum kümmert.
In Caltanisseta gibt es zwei außerordentliche Aufnahmezentren (CAS), die eine maximale Kapazität für 140 Asylsuchende haben. Die Art wie sie geführt werden, reflektieren die typisch gleichen - bereits aus anderen Aufnahmezentren bekannten - Kritikpunkte, die sich auf das niedrige Niveau der Betreuung durch die Vereinbarungen zwischen Betreiber und Präfektur zurückführen lassen: Überfüllungen, strukturelle Probleme, ernsthafte Mangel an wichtigen Dienstleistungen, insbesondere bei der Rechtsberatung von Einzelpersonen und der persönlichen Betreuung, Abwesenheit des Italienisch-Unterrichts sowie mangelnde sprachliche Vorbereitung der Mitarbeiter.
Die zwei Aufnahmezentren, um die es geht, sind: „Madre Speranza“ (die von dem religiösen Verein St. Filippo Neri geleitet wird) und das Zentrum, das von der „Kooperative Vivere“ geleitet wird.

Das Zentrum „Madre Speranza“, welches im vergangenen November reaktiviert wurde, nimmt zur Zeit 80 Personen auf. Die Mehrheit der untergebrachten Personen kommt aus diversen Gegenden von Pakistan und Afghanistan.
Die alte Struktur verfügt über 11 Zimmer, drei davon sind sehr geräumig (mit jeweils mindestens 10 Betten). Die Kleineren sind sehr überfüllt, zwischen zwei Betten gibt es kaum Platz zum Gehen. Jedes der Zimmer verfügt über ein Bad. Die hygienischen Bedingungen in einigen der Räumlichkeiten lassen zu Wünschen übrig. Das Zentrum ist außerdem mit einer Küche und einer Cafeteria ausgestattet, die  in unterschiedlichen Arbeitsschichten die Mahlzeiten für einige Bedürftige aus der Stadt vorbereitet. Drei Personen sind dort tätig, davon 2 mit afghanischer Herkunft. Bezüglich des Italienisch-Kurses informierte uns einer der Mitarbeiter, dass es von Montag bis Freitag einen Kurs gibt und der Lehrer sehr erfahren im Unterrichten von „Italienisch für Ausländer“ ist. Leider nehmen nur 4 der 80 Bewohner teil, weil sie entweder um die frühe Uhrzeit schlafen wollen oder andere Kurse bevorzugen, in denen ihnen eine Teilnahmebescheinigung ausgestellt wird.  
Der Service der sprachlichen und kulturellen Vermittlung wird von zwei Mitarbeitern afghanischer Herkunft gewährleistet, die Urdu, Englisch und Italienisch sprechen. Wir waren sehr von den Aussagen eines Mitarbeiters  betroffen, der sich mehrfach über die Gäste pakistanischer Herkunft als psychisch kranke und undankbare Menschen beklagte, von denen er glaubte, beleidigt worden zu sein.
Wir haben keine klaren Informationen über die juristischen Dienstleistungen für die Asylsuchenden des Aufnahmezentrums erhalten.
Es scheint, dass den Bewohnern dank der Unterstützung der medizinischen Freiwilligen der Caritas - mit der das Zentrum eng kooperiert - eine gute Gesundheitsversorgung gewährleistet wird. Der Mitarbeiter hat uns Termine zu speziellen Untersuchungen von mehreren Patienten gezeigt. Darüber hinaus werden alle Gäste von diesem Zentrum mit der STP-Karte (Gesundheitskarte für Ausländer, die für eine bestimmte Zeit in Italien sind) ausgestattet.

Das andere außerordentliche Aufnahmezentrum, welches vor etwa einem Monat eingerichtet wurde, wird von der „Kooperative Vivere“/“Projekt Leben“ geführt (wie auch das große Zentrum von San Cataldo http://siciliamigranti.blogspot.it/2014/04/accoglienza-san-cataldo.html). Zurzeit sind hier 57 Migranten untergebracht. Die meisten von ihnen mit pakistanischer Herkunft, kamen hierher, nachdem den beiden Aufnahmezentren von Gela der Vertrag von der Präfektur über mehrere Monate  nicht verlängert wurde. Wahrscheinlich wegen der schlechten Betreuungssituation (http://siciliamigranti.blogspot.it/2014/01/le-strutture-dellaccoglienza-d-emergenza.html). Die Hilfsbedürftigen haben deswegen für ein paar Wochen auch im CARA (Zentrum für Flüchtlinge und Asylbewerber) Pian del Lago gewohnt.
Es gibt mehrere Bewohner aus Afrika (Nigeria, Mali, Gambia), die eine noch kritischere Aufnahmegeschichte haben: einige von ihnen wurden vor der Aufnahme in den Zentren von Gela für etwa zwei Monaten im Pala Nebiolo von Messina festgehalten .
Die 57 Migranten sind in einem ehemaligen Gebäude des Telekommunikationsdienstes  untergebracht, welches vom zugehörigen Ministerium für die Unterbringung freigegeben wurde. Es ist ein neues Gebäude, in dem es allerdings einige wichtige strukturelle Probleme gibt, wie z.B. die der Wasserversorgung, die laut den Gästen nicht regelmäßig jeden Tag zugänglich ist. Das führt Unannehmlichkeiten aller Art mit sich, insbesondere für die Bäder, teilweise können die Bewohner sich nicht waschen. Trotzdem ist die Sauberkeit der Räume, die wir besucht haben, gut und anscheinend gibt es zwei tatkräftige Putzfrauen.
Die größte festgestellte Problematik stellt die medizinische Betreuung dar. Zu dem Zeitpunkt, als wir angekommen sind, haben wir einen der Gäste getroffen. Er kam wegen eines Sturzes  in Begleitung von zwei Bekannten aus dem Krankenhaus zurück. Er litt bereits seit mehreren Monaten an sehr starken Juckreiz und ist an dem Tag gefallen. Die Diagnose der Notaufnahme umfasst nicht das Sturztrauma, sondern nur die Krätze. Laut dem Betroffenen hatte er die Beschwerden bereits in dem Zentrum von Gela. Aber weder dort noch in diesem Zentrum, hat der Arzt, der wöchentlich die Gäste untersucht, therapeutische Maßnahmen unternommen. Auch sein Mitbewohner berichtete uns von den gleichen Beschwerden, die er seit mehreren Monaten hat und zeigte uns einen großen Hautausschlag auf seinem Rücken, gegen die er keine Medikamente bekommen hat.
Wir haben mit mehreren Personen gesprochen, die alle gesundheitliche Probleme haben, einige sogar ernste Probleme und die sich alle beschweren, dass sie im Zentrum keine angemessene medizinische Betreuung bekommen. Diese beschränkt sich teilweise nur auf die Verabreichung von fiebersenkenden Mitteln. Einmal pro Woche kommt ein Arzt ins Zentrum, mit dem es aber schwer ist zu kommunizieren, da er kein Englisch spricht.
Englisch und Französisch spricht in diesem Zentrum nur eine Arbeiterin, die meistens nur ein paar Stunden in der Woche anwesend ist, während der Leiter des Zentrums lediglich italienisch spricht. Als wir nach weiteren Mitarbeitern fragten, erzählten sie uns nur von den Reinigungskräften und zwei Mitarbeitern für die Nachtschicht.
Wie die Gäste berichteten, wird ihnen keine Rechtshilfe gewährleistet, sowie auch kein Italienisch-Kurs in den Aktivitäten des Zentrums geplant ist. Außerdem wird die Wäsche nur einmal im Monat gewaschen. Es wurde berichtet, dass der Zentrumsleiter den Gästen ein erhöhtes Taschengeld (pocket-money) in Höhe von 7,50 Euro gibt, damit sie die Reinigungsmittel für die Bettwäsche selbst kaufen. Das Essen des Catering-Service wird uns von den Gästen als schmackhaft und reichlich beschrieben.
Einen Tag nach unserem ersten Besuch kehrten wir in das Zentrum zurück, um mit dem Leiter zu sprechen. Wir fanden vor Ort nur die Kulturvermittlerin, die bereit war mit uns zu sprechen. Dementsprechend fragten wir sie, wie die verschiedenen Aspekte der Verwaltung organisiert werden, in dem wir ihr auch wichtige kritische Fragen hinsichtlich der mangelhaften medizinischen Versorgung,  der fehlenden Rechtsberatung sowie zum fehlenden Italienisch-Unterricht stellten.
Sie antwortete uns, dass  die Schutzsuchenden hier vor Ort keinen Anspruch auf Rechtsfürsorge haben, weil diejenigen, die von der Pala Nebbiolo (Aufnahmezentrum in Zelten in Messina) ankommen, bereits die Rechtshilfe in der „Zeltstadt“ Messina bekommen haben (Anmerkung der Redaktion: nur die Minderheit der Gäste).
Zu dem fehlenden Italienisch-Kurs haben wir später erfahren, dass dieser am folgenden Tag zweimal in der Woche für zwei Stunden beginnen wird. Zudem wird auch ein Englischkurs mit der gleichen Stundenanzahl organisiert.
Im Hinblick auf die medizinische Versorgung, hat uns die Mediatorin versichert, dass ein Arzt und eine Krankenschwester wöchentlich kommen und die Gäste aufmerksam untersuchen. Diese Aussage half uns nicht zu verstehen, wie die Fälle von Krätze unerkannt blieben und weshalb Hepatitis und Diabetes nicht behandelt wurden. Bezüglich des Mangels an spezifischen Diäten für diejenigen, die besondere Ernährungsbedürfnisse aufgrund ernst zu nehmender Krankheiten haben, antwortete sie, dass die Gäste keine Kinder seinen und wissen müssten, was sie essen können und was nicht.
Hinsichtlich des Personalmangels, sagte uns die Mediatorin, dass es insgesamt acht Mitarbeiter gibt: Den Leiter des Zentrums, einem Fahrer, drei Mitarbeitern (für die Verteilung von Mahlzeiten und Überwachung), und zwei Reinigungskräften. Sie selbst ist eine Kulturvermittlerin und hat einen Teilzeitvertrag.

Nach all diesen Informationen überlegen wir, dass diese Aufnahmezentren gar nicht so außerordentlich sind. Sie sind es nicht im positiven Sinne aber auch nicht im Negativen: Sie sind charakterisiert durch die selben Eigenschaften wie auch das restliche System der Erstaufnahme in den letzten 20 Jahren „Notstand“.

Giovanna Vaccaro. Borderline Sicilia Onlus


Aus dem Italienischen von Ollga Mato