Es ist der 21. März 2014 in der Provinz
Trapani. Für die aus dem Meer „gefischten“ und dann auf Sizilien verteilten
Migranten gibt es keine „Aufnahme Plätze“ mehr. Deshalb steigt die Zahlt der
neu eröffneten außerordentlichen
Aufnahmestrukturen. Offizielle Zahlen sprechen von 1.800 Migranten in der
Provinz Trapani, alle oder fast alle Gemeinden sind betroffen. Die Provinz
Trapani verfügt, ausgenommen das Mega Zentrum von Mineo, über die
höchste Zahl von außerordentlichen Aufnahme-Zentren (CAS centri di accoglienza
straordinaria) von ganz Sizilien.
In diesen Tagen wurden die Direktoren der
Zentren in die Präfektur einberufen, um die Verträge zur Verlängerung ihrer
Dienste bis zum 31. Juli 2014 zu unterzeichnen. Dabei erhöhte sich die
vereinbarte Entschädigung um 5 Euro; sie
beträgt nun pro Gast und Tag 35 Euro. Während in Zeiten der Wirtschaftskrise in
allen Bereichen Mittel gekürzt werden, nehmen Förderungen im Business der Einwanderung
zu ... was für ein erfreuliches Resultat.
Das Geschäft mit der Migration wird immer
rentabler. Daher landen auf dem Tisch der Präfektur viele Anfragen zur Öffnung
neuer Zentren. Zentren, die auf Grund des dringenden Bedarfs öffnen, um die
Anfragen und Anordnungen aus Rom bewältigen zu können, obwohl sie weder über
genügend sanitäre Anlagen noch über Erfahrung auf dem Gebiet verfügen.
Dass die Fäden des Systems in Rom gezogen
werden, ohne dabei nur im geringsten an die Situation vor Ort zu denken, welche
die Präfekten am Ende selbst abwickeln müssen, ist offensichtlich. Ein Beispiel
dafür ist der Vorfall im Identifikations- und Abschiebungszentrum von Milo. Wie
bekannt gegeben musste Milo Ende Januar vom Präfekten wegen
Renovierungsarbeiten und Sicherheitsmaßnahmen geschlossen werden. Das
Ministerium in Rom war von Anfang an gegen die Schließung und hat die weitere
Öffnung der Struktur angeordnet, wenn auch mit reduzierter Besetzung. Dies,
obwohl die Genossenschaft OASI bereits vor geraumer Zeit den Widerruf wegen
Nichterfüllung erhalten hat und mittlerweile nur mehr Scheingeschäftsführer des
Zentrums ist, welcher nicht einmal die
Grunddienste garantieren kann. Auch die beiden Ausschreibungen der Präfektur
sind „leer ausgegangen“. Es ist augenscheinlich, dass das Identifikations- und
Abschiebezentrum (CIE) von Milo ein Ort ist, wo das Zivilrecht nicht
respektiert wird und wo Personen wie „Gegenstände“ behandelt werden.
Ab 1. April, und solange bis eine neue Ausschreibung
durchgeführt wird und ein neues Angebot zur Leitung vorliegt, hat die Präfektur
die Leitung des Zentrums in Milo direkt dem Roten Kreuz anvertraut. Es wird
somit zum Kontrolleur und Kontrollierten, denn das Rote Kreuz ist, wie auch das
UN Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), die Internationalen Organisation für Migration
(IOM), Save the Children und andere, Teil des Projektes Praesidium des
Innenministeriums. Die Situation ist paradox!
Nachdem die Präfektur vor geraumer Zeit
äußerte, einen Teil der Arbeitsstellen im CIE Milo zu streichen begannen die
ungefähr 60 Mitarbeiter einen Streitfall, um ihren Arbeitsplatz nicht zu
verlieren. Die Proteste der Mitarbeiter
konnten Streichungen von Stellen verhindern, führten jedoch zu einem Rückgang
der Beschäftigungszeit für alle Angestellten von 38 auf 30 Stunden pro Woche.
Somit sind zumindest die Angestellten froh darüber, dass Milo seine Türen nicht
schließt.
Zurzeit sind im CIE von Milo ungefähr 60
„Pechvögel“ untergebracht. Die Gambianer sind, nachdem der Druck ihnen
gegenüber von mehreren Seiten zugenommen hat, in außerordentliche
Aufnahme-Zentren der Region, genau genommen nach Salemi und Trescina,
übersiedelt worden. Nachdem die Männer bei einem Protest von Ordnungskräften
verprügelt wurden, leiden sie immer noch offensichtlich an psychologischen
Problemen, einige unter ihnen haben ausgesagt, dass sie auf Grund der
wiederkehrenden Alpträume immer noch an Schlafstörungen leiden.
Die Situation in den Zentren der Provinz ist
unterschiedlich. Sie reicht von Hotels in optimalem Zustand (auch mit
Schwimmbad oder Fitnessstudio) bis hin zu Bruchbuden, in denen sich 40 – 50
Personen zwei Bäder teilen müssen. Es gibt Zentren mit ausgebildeten
Mediatoren, aber auch Zentren (die Informationen stammen von Mitarbeitern des
Projektes Praesidium) ohne Mitarbeiter, in denen die Flüchtlinge sich
selbst überlassen sind. Weiterhin gibt es Strukturen, in denen kein Taschengeld
ausgeteilt wird und andere, in denen Produkte an die Gäste verkauft werden;
ganz zu schweigen von der medizinischen Versorgung, oft findet man weder Ärzte
noch Arzneimittel vor. Es gibt sogar Zentren, in denen Mitarbeiter die
Nasenscheidewand von Migranten durchbrachen, eine schwere Tat die den
Mitarbeitern von Praesidium gemeldet wurde, welche rechtzeitig
intervenierten. Um die Berichterstattung zu vervollständigen, können wir sagen,
dass der „Boxer“ entlassen wurde.
Tatsächlich gibt es viele Schwierigkeiten und
Unregelmäßigkeiten – bereits im März!
Es ist offensichtlich, dass die Präfektur in
Schwierigkeiten steckt, dass die Zahl der Ankommenden hoch ist, dass das Fehlen
eines klaren Projekts Risse in dem zerbrechlichen System verursacht und dass
die Inkompetenz vieler verantwortlicher Akteure zahlreiche Probleme hervorruft
und diese Böswilligkeiten Migranten sich selbst überlässt. Es darf nicht sein,
dass sich eine in diesem Bereich noch unerfahrene Gesellschaft am 14. Februar
registriert und am 28. Februar Leiter eines neuen Zentrums wird.
Auch die Polizeipräsidien und Kommissariate
in den kleinen Zentren der Provinz stecken in Schwierigkeiten. Sie müssen sich
im Bereich der Einwanderung fortbilden; neue Programme anwenden, Sprachen
erlernen, um mit den Migranten sprechen zu können … auch hier sind die
Resultate mangelhaft: maßlos verlängerte Fristen wegen des Nicht-Funktionieren
der Computersysteme, wegen der Suche nach Mediatoren oder auch wegen geringer
Kompetenz und Respekt.
Wer bezahlt? Immer der Migrant, immer und nur
er/sie!
Die Situation im Aufnahme-Zentren für
Asylantragssteller in Salinagrande hat sich seit unserem letzten Besuch kaum
verändert; die Anzahl der Gäste ist immer noch viel zu hoch: über 280 und für
mehr als einen Monat waren es 380,
sprich doppelt so viele als eigentlich vorgesehen, zudem eine überfüllte
Turnhalle und Probleme mit dem Warmwasser. Der Heizkessel eines Blocks im
Zentrum – welcher dauernd im Einsatz war – ging kaputt. Bevor er nun repariert
werden wird wird einige Zeit vergehen, denn die dafür notwendigen
bürokratischen Vorgänge gehen langsam voran. Es gibt Probleme bei der
Gesundheitsversorgung. Der Gesundheitsdienst der Provinz Trapani schafft es
nicht, die gesundheitlichen Bedürfnisse der Migranten zu bewältigen. Zudem gibt
es Probleme mit der territorialen Asylkommission: wegen langer Wartezeiten
verbreiten sich Proteste und Unzufriedenheit, Anhörungen sind bis Ende März
2015 vereinbart. Das heißt, dass Personen bis zu einem Jahr warten müssen, ein
Jahr, in dem sie gezwungen sind eingeschlossen zu bleiben in einem Zentrum, in
dem sie nichts machen können!
Dieses rassistische und grausame System ist
paradox. Kadim (Name geändert) ein 24 jähriger Tunesier wurde in einem Schweizer
Krankenhaus wegen eines Tumors operiert. Aufgrund der Dublin II - Verordnung musste Kadim nach Italien
zurückgeschickt werden. Zurück im Aufnahme-Zentrum für Asylantragssteller wurde
er ins Krankenhaus Palermo eingeliefert (in Trapani war kein Krankenhaus dazu
bereit). Nach verschiedenen Untersuchungen wurde Kadim wieder entlassen, da
sein psychischer und physischer Zustand weder Chemio- noch Radiotherapie
zugelassen hätte. Er kam zurück ins Zentrum Salinagrande, obwohl der Arzt, ein
Onkologe, in einem Bericht festhielt, dass Kadim dingend an einen geeigneten
Ort verlegt werden muss. Die Leitung des Zentrums ermöglichte ihm jedoch keine
Verlegung in ein Zentrum, welches sich in der Nähe eines Krankenhauses befindet
beziehungsweise in ein besseres Zentrum mit adäquaten Zimmern. Auch das
Ministerium schwieg und selbst Gemeindebehörden und die Caritas regten sich
nicht. Es geschah nichts. Erst nach einem Monat machte die Präfektur die
Überlegung, dass es besser wäre, Kadim ins außerordentliche Aufnahme-Zentrum
von Selinunte zu verlegen: dort befinden sich zur Zeit 120 Personen, außerdem
liegt das Zentrum weit entfernt vom nächsten Krankenhaus und es entspricht
keinesfalls den Anforderungen des Onkologen.
Das ist Italien. Das ist sein Aufnahmesystem
… und es ist erst März!
Alberto Biondo
Borderline Sicilia Onlus
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner