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Montag, 24. März 2014

Sold out

Es ist der 21. März 2014 in der Provinz Trapani. Für die aus dem Meer „gefischten“ und dann auf Sizilien verteilten Migranten gibt es keine „Aufnahme Plätze“ mehr. Deshalb steigt die Zahlt der neu eröffneten   außerordentlichen Aufnahmestrukturen. Offizielle Zahlen sprechen von 1.800 Migranten in der Provinz Trapani, alle oder fast alle Gemeinden sind betroffen. Die Provinz Trapani verfügt, ausgenommen das Mega Zentrum von Mineo, über die höchste Zahl von außerordentlichen Aufnahme-Zentren (CAS centri di accoglienza straordinaria) von ganz Sizilien.

In diesen Tagen wurden die Direktoren der Zentren in die Präfektur einberufen, um die Verträge zur Verlängerung ihrer Dienste bis zum 31. Juli 2014 zu unterzeichnen. Dabei erhöhte sich die vereinbarte  Entschädigung um 5 Euro; sie beträgt nun pro Gast und Tag 35 Euro. Während in Zeiten der Wirtschaftskrise in allen Bereichen Mittel gekürzt werden, nehmen Förderungen im Business der Einwanderung zu ... was für ein erfreuliches Resultat.
Das Geschäft mit der Migration wird immer rentabler. Daher landen auf dem Tisch der Präfektur viele Anfragen zur Öffnung neuer Zentren. Zentren, die auf Grund des dringenden Bedarfs öffnen, um die Anfragen und Anordnungen aus Rom bewältigen zu können, obwohl sie weder über genügend sanitäre Anlagen noch über Erfahrung auf dem Gebiet verfügen.
Dass die Fäden des Systems in Rom gezogen werden, ohne dabei nur im geringsten an die Situation vor Ort zu denken, welche die Präfekten am Ende selbst abwickeln müssen, ist offensichtlich. Ein Beispiel dafür ist der Vorfall im Identifikations- und Abschiebungszentrum von Milo. Wie bekannt gegeben musste Milo Ende Januar vom Präfekten wegen Renovierungsarbeiten und Sicherheitsmaßnahmen geschlossen werden. Das Ministerium in Rom war von Anfang an gegen die Schließung und hat die weitere Öffnung der Struktur angeordnet, wenn auch mit reduzierter Besetzung. Dies, obwohl die Genossenschaft OASI bereits vor geraumer Zeit den Widerruf wegen Nichterfüllung erhalten hat und mittlerweile nur mehr Scheingeschäftsführer des Zentrums ist, welcher  nicht einmal die Grunddienste garantieren kann. Auch die beiden Ausschreibungen der Präfektur sind „leer ausgegangen“. Es ist augenscheinlich, dass das Identifikations- und Abschiebezentrum (CIE) von Milo ein Ort ist, wo das Zivilrecht nicht respektiert wird und wo Personen wie „Gegenstände“ behandelt werden.
Ab 1. April, und solange bis eine neue Ausschreibung durchgeführt wird und ein neues Angebot zur Leitung vorliegt, hat die Präfektur die Leitung des Zentrums in Milo direkt dem Roten Kreuz anvertraut. Es wird somit zum Kontrolleur und Kontrollierten, denn das Rote Kreuz ist, wie auch das UN Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), die Internationalen Organisation für Migration (IOM), Save the Children und andere, Teil des Projektes Praesidium des Innenministeriums. Die Situation ist paradox!
Nachdem die Präfektur vor geraumer Zeit äußerte, einen Teil der Arbeitsstellen im CIE Milo zu streichen begannen die ungefähr 60 Mitarbeiter einen Streitfall, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren.  Die Proteste der Mitarbeiter konnten Streichungen von Stellen verhindern, führten jedoch zu einem Rückgang der Beschäftigungszeit für alle Angestellten von 38 auf 30 Stunden pro Woche. Somit sind zumindest die Angestellten froh darüber, dass Milo seine Türen nicht schließt.
Zurzeit sind im CIE von Milo ungefähr 60 „Pechvögel“ untergebracht. Die Gambianer sind, nachdem der Druck ihnen gegenüber von mehreren Seiten zugenommen hat, in außerordentliche Aufnahme-Zentren der Region, genau genommen nach Salemi und Trescina, übersiedelt worden. Nachdem die Männer bei einem Protest von Ordnungskräften verprügelt wurden, leiden sie immer noch offensichtlich an psychologischen Problemen, einige unter ihnen haben ausgesagt, dass sie auf Grund der wiederkehrenden Alpträume immer noch an Schlafstörungen leiden.
Die Situation in den Zentren der Provinz ist unterschiedlich. Sie reicht von Hotels in optimalem Zustand (auch mit Schwimmbad oder Fitnessstudio) bis hin zu Bruchbuden, in denen sich 40 – 50 Personen zwei Bäder teilen müssen. Es gibt Zentren mit ausgebildeten Mediatoren, aber auch Zentren (die Informationen stammen von Mitarbeitern des Projektes Praesidium) ohne Mitarbeiter, in denen die Flüchtlinge sich selbst überlassen sind. Weiterhin gibt es Strukturen, in denen kein Taschengeld ausgeteilt wird und andere, in denen Produkte an die Gäste verkauft werden; ganz zu schweigen von der medizinischen Versorgung, oft findet man weder Ärzte noch Arzneimittel vor. Es gibt sogar Zentren, in denen Mitarbeiter die Nasenscheidewand von Migranten durchbrachen, eine schwere Tat die den Mitarbeitern von Praesidium gemeldet wurde, welche rechtzeitig intervenierten. Um die Berichterstattung zu vervollständigen, können wir sagen, dass der „Boxer“ entlassen wurde.
Tatsächlich gibt es viele Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten – bereits im März!

Es ist offensichtlich, dass die Präfektur in Schwierigkeiten steckt, dass die Zahl der Ankommenden hoch ist, dass das Fehlen eines klaren Projekts Risse in dem zerbrechlichen System verursacht und dass die Inkompetenz vieler verantwortlicher Akteure zahlreiche Probleme hervorruft und diese Böswilligkeiten Migranten sich selbst überlässt. Es darf nicht sein, dass sich eine in diesem Bereich noch unerfahrene Gesellschaft am 14. Februar registriert und am 28. Februar Leiter eines neuen Zentrums wird. 
Auch die Polizeipräsidien und Kommissariate in den kleinen Zentren der Provinz stecken in Schwierigkeiten. Sie müssen sich im Bereich der Einwanderung fortbilden; neue Programme anwenden, Sprachen erlernen, um mit den Migranten sprechen zu können … auch hier sind die Resultate mangelhaft: maßlos verlängerte Fristen wegen des Nicht-Funktionieren der Computersysteme, wegen der Suche nach Mediatoren oder auch wegen geringer Kompetenz und Respekt.
Wer bezahlt? Immer der Migrant, immer und nur er/sie!

Die Situation im Aufnahme-Zentren für Asylantragssteller in Salinagrande hat sich seit unserem letzten Besuch kaum verändert; die Anzahl der Gäste ist immer noch viel zu hoch: über 280 und für mehr als  einen Monat waren es 380, sprich doppelt so viele als eigentlich vorgesehen, zudem eine überfüllte Turnhalle und Probleme mit dem Warmwasser. Der Heizkessel eines Blocks im Zentrum – welcher dauernd im Einsatz war – ging kaputt. Bevor er nun repariert werden wird wird einige Zeit vergehen, denn die dafür notwendigen bürokratischen Vorgänge gehen langsam voran. Es gibt Probleme bei der Gesundheitsversorgung. Der Gesundheitsdienst der Provinz Trapani schafft es nicht, die gesundheitlichen Bedürfnisse der Migranten zu bewältigen. Zudem gibt es Probleme mit der territorialen Asylkommission: wegen langer Wartezeiten verbreiten sich Proteste und Unzufriedenheit, Anhörungen sind bis Ende März 2015 vereinbart. Das heißt, dass Personen bis zu einem Jahr warten müssen, ein Jahr, in dem sie gezwungen sind eingeschlossen zu bleiben in einem Zentrum, in dem sie nichts machen können!

Dieses rassistische und grausame System ist paradox. Kadim (Name geändert) ein 24 jähriger Tunesier wurde in einem Schweizer Krankenhaus wegen eines Tumors operiert. Aufgrund der Dublin II -  Verordnung musste Kadim nach Italien zurückgeschickt werden. Zurück im Aufnahme-Zentrum für Asylantragssteller wurde er ins Krankenhaus Palermo eingeliefert (in Trapani war kein Krankenhaus dazu bereit). Nach verschiedenen Untersuchungen wurde Kadim wieder entlassen, da sein psychischer und physischer Zustand weder Chemio- noch Radiotherapie zugelassen hätte. Er kam zurück ins Zentrum Salinagrande, obwohl der Arzt, ein Onkologe, in einem Bericht festhielt, dass Kadim dingend an einen geeigneten Ort verlegt werden muss. Die Leitung des Zentrums ermöglichte ihm jedoch keine Verlegung in ein Zentrum, welches sich in der Nähe eines Krankenhauses befindet beziehungsweise in ein besseres Zentrum mit adäquaten Zimmern. Auch das Ministerium schwieg und selbst Gemeindebehörden und die Caritas regten sich nicht. Es geschah nichts. Erst nach einem Monat machte die Präfektur die Überlegung, dass es besser wäre, Kadim ins außerordentliche Aufnahme-Zentrum von Selinunte zu verlegen: dort befinden sich zur Zeit 120 Personen, außerdem liegt das Zentrum weit entfernt vom nächsten Krankenhaus und es entspricht keinesfalls den Anforderungen des Onkologen.

Das ist Italien. Das ist sein Aufnahmesystem … und es ist erst März!

Alberto Biondo
Borderline Sicilia  Onlus

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner